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Die BuchKönig bloggt Takis Würger sticht mit «Stella» in ein Wespennest!

Habt ihr die Aufregung um Takis Würgers Roman «Stella» mitgekriegt? Als trivial, kitschig, schändlich, schlecht, unwürdig wurde er tituliert. Würger erzählt in unterhaltsamem Ton die teils wahre Geschichte einer Jüdin, die in Berlin Greiferin war und Juden an die Nazis verraten hat. Ui, Ui, Ui...

Berlin, 1942. Stella Goldschlag, 21, blond, schön, gross, schlank, schillernd, extrovertiert, arbeitet als Sängerin in einem illegalen Jazz-Club. Sie verliebt sich in einen Jüngling aus der Schweiz. Fritz ist vor kurzem nach Berlin gekommen und im Grand Hotel am Pariser Platz abgestiegen. Er will sehen und verstehen, was in Deutschland passiert. Ob die Gerüchte von Möbelwagen im jüdischen Scheunenquartier wahr oder eine Lüge sind.

Bewertung: zwei Kronen

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Dieser Roman lebt einzig und allein von der historischen Figur der Stella Goldschlag. Leider erfahre ich nur Banales über sie.

Stella und Fritz werden ein Paar. Sie zieht zu ihm ins Grand Hotel. Lässt sich von ihm aushalten. Liegt stundenlang in der Badewanne und kippt Sekt, ein Glas nach dem andern. Doch das Liebesglück ist nicht von langer Dauer. Stella wird verhaftet, als Jüdin enttarnt. Man misshandelt sie, setzt sie unter Druck. Sie wird gezwungen als Greiferin für die Nazis zu arbeiten. Nur so kann sie ihre Eltern und sich vor der Gaskammer retten. Fritz ahnt nichts von Stellas Verrat. Doch als er die Wahrheit erfährt, muss er sich entscheiden: für Stella oder für sein Seelenheil!

«Ich weiss nicht, ob es falsch ist, einen Menschen zu verraten, um einen anderen zu retten. Ich weiss nicht, ob es richtig ist, einen Menschen zu verraten, um einen anderen zu retten. Ich wollte mich irgendwo verkriechen, weil ich wusste, dass ich dem Schicksal nicht gewachsen war, aber es mischte sich ein anderes Gefühl dazu. Ich spürte eine Verbundenheit mit Stella. Sie tat etwas, für das andere Menschen sie hassten, und ich stand bei ihr. Ich verstand sie nicht, aber ich stand.»

Grafik mit Fakten über Stella Goldschlag
Legende: Factsheet Stella Goldschlag Das erfährt Annette König in Takis Würgers Roman über Stella Goldschlag. SRF

Daumen rauf

  • Pageturner. Würger schreibt unterhaltsam. Wie er da in wenigen Pinselstrichen den Schweizer Jüngling Fritz skizziert. Herkunft, Familienverhältnisse, Lebenslage. Oder Stella, die deutsche Marilyn Monroe, die sich als Arierin fühlt und Juden verrät. Oder Lebemann Tristan, der Luxus, Jazz und französischen Käse liebt, gleichzeitig aber ein opportunistischer SS-Mann ist.
  • Tabubrecher. Würger schreibt in unterhaltsamem Plapperton über jüdische Schuld im Holocaust. Damit rüttelt er auf. Löst eine heftige Literaturdebatte aus. Darf Fiktion das ? Oder gibt es Regeln wie man über Nazigräuel schreiben sollte?

Daumen runter

  • Etikettenschwindel. Würger erzählt eine teils wahre Geschichte, die aber mehrheitlich frei erfunden ist. Das ist sein gutes Recht. Aber die wahre Stella hätte mehr hergegeben. Würgers Stella ist nur das Foto auf dem Buch-Cover, ein Abziehbild, eine verfremdete, wenn nicht gar verfälschte Projektion. Dabei hätte ich so gerne mehr über diese schillernd-tragische Figur erfahren. Über ihre Lebensumstände, über ihre jüdische Identität, ihre Abgründe, über ihre Ängste, über ihre Skrupel. Also durchforste ich das Netz und stosse - BINGO - auf das Buch «Stella» von Peter Wyden. Der Autor war Stellas Schulkollege, selbst auch Jude. Ihr Schicksal hat ihn ein Leben lang verfolgt. Er wollte begreifen. Hat Stella aufgespürt, interviewt. Hat darüber ein fundiertes, erschütterndes, höchst aufschlussreiches Buch geschrieben, über jüdische Schuld und die Frage: was ist Gerechtigkeit? Das Buch ist vergriffen, aber man kann es in der Zentralbibliothek Zürich ausleihen. Do it!
  • Schwulst & Kitsch. Würgers Roman trieft nur so davon: «Die Deutschen waren in meinem Kopf das, was ich sein wollte. Ich wollte kein Soldat sein, aber vielleicht würde ein Teil der Stärke auf mich überspringen.» ODER «Es muss auch noch gute Deutsche geben. Ich glaube, die Wahrheit ist nirgendwo so sehr in Gefahr wie im Krieg.» ODER «Ihre Tränen rannen lautlos. In diesem Moment entschied ich, dass ich an ihrer Seite bleiben würde. Es war egal, wie sie hiess. Sie war die Frau, die mir kleine Zettel schrieb.» etc.
  • Null Erkenntnisgewinn. Nichts wird ausgeleuchtet, nichts wird reflektiert. Würger vereinfacht, lässt weg, übertreibt, verkitscht, trägt dick auf. Wie in einer der letzten Szenen. Stella singt mit gehauchter Stimme ihrem Fritz zum Abschied den Song Stardust von Frank Sinatra auf einem Nazi-Empfang in einer Villa auf Schwanenwerder am Wannsee... Sometimes I wonder... lalala.

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Der Roman «Stella» von Takis Würger liegt auf einem Tisch. Daneben Handtasche und Apfel
Legende: Äpfel werden im Grand Hotel am Pariser Platz in Berlin nicht rationiert. SRF

Der Autor

Takis Würger ist 1985 geboren. Er arbeitet als Redakteur für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. 2017 erschien sein Erstling «Der Club», der mit dem Debütpreis des internationalen Literaturfests lit.Cologne ausgezeichnet wurde. Takis Würger lebt in Berlin.

Das Buch: Takis Würger: «Stella» (2019, Hanser)

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Audio
BuchBar zu Würger
aus BuchZeichen vom 29.01.2019.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 28 Sekunden.

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