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Die BuchKönig bloggt Von diesen Short Stories kriege ich Gänsehaut

«Wie es ist und war» heisst der Sammelband mit Kurzgeschichten von David Constantine. Klingt unspektakulär. Ist es aber nicht! Der englische Autor wirft einen scharfen Blick in die Seelen seiner Figuren. Und stellt die Frage: Wie hast Du dein Leben verbracht? Uaaaaahhhhhh!

Fünf Kronen auf weissem Grund: Mit fünf Kronen bewertet Annette König «Wie es ist und war» von David Constantine
Legende: Bewertung Fünf Kronen Colourbox

Short Stories lesen ist wie eine Kunstausstellung besuchen. Ein hammergutes Bild reicht – für ein ganzes Leben. Und genau so geht’s mir mit den Kurzgeschichten von David Constantine.

Siebzehn sind es. Eine besser als die andere. But the very best of all ist die Erste: «In einem anderen Land». Von einer Intensität und Ausdruckskraft, wie ich sie selten gelesen habe.

Auch Filmemacher haben das erkannt. «45 Years» heisst die Filmadaption, die Constantines Story berühmt gemacht hat.

Im Zentrum steht ein altes Ehepaar. Sie kommt gerade vom Einkaufen heim. Während er am Küchentisch sitzt und elend aussieht.

«Was ist denn nun schon wieder?, fragte sie und stellte die Tüten ab. Er schreckte hoch. Dich kann man aber auch keine Minute allein lassen, sagte sie. Man hat sie gefunden, sagte er. Wen gefunden? Die junge Frau. Welche junge Frau? Von der ich dir erzählt habe. Was für eine Frau? Katja. Katja?, sagte Mrs Mercer und begann, den Frühstückstisch abzuräumen.»

Was unspektakulär anfängt, entwickelt Eigendynamik. Die Geister von früher sind erwacht. «Ach, die Katja, sagte sie. Ja, sagte er. Sie haben sie im Eis entdeckt. Aha, sagte Mrs Mercer.» Und dieses Aha wird nicht das letzte von Mrs Mercer sein…

Die Tote im Eis war mal Mr Mercers Verlobte. Aha. Vor sechzig Jahren haben sie zusammen die Alpen überquert. Auf der Flucht vor den Deutschen. Dabei ist Katja abgestürzt und in einer Gletscherspalte verschwunden. Jetzt, sechzig Jahre später, spuckt das Eis sie wieder aus. Der Körper ist immer noch schön. Bleich. Jung. So wie sie war: Mr Mercers grosse Liebe. Aha. Und die bringt nun die Ehe von Mrs und Mr Mercer in Gefahr.

Foto des Inhaltsverzeichnis von den Short Stories im Sammelband «Wie es ist und war» von David Constantine
Legende: Inhaltsverzeichnis Beim Nacherzählen von «Die nötige Kraft» sind mir die Tränen gekommen. Aha. SRF

Daumen rauf

  • Unvergesslich. Diese Short Stories haben sich mir in die Seele eingebrannt!
  • Gänsehaut. Auf nur vierzehn Seiten bringt Constantine drei Leben, eine Liebe und eine Ehe auf den Punkt. Zeigt auf, dass im Menschen Kräfte wirken, die nicht zu kontrollieren sind. Insbesondere dann, wenn Vergangenheit mit Gegenwart ringt: «Der Tag verging wie in Trance. Katja im Eis, die keusche Schneedecke weggezogen. Er schnitt sich beim Rasieren, starrte in den Spiegel und versuchte unter seinem gegenwärtigen Gesicht das des Zwanzigjährigen zu finden. Ein paar Blutstropfen, rosarot, wo sie in den Rasierschaum rannen. Er mühte sich, irgendwo hinter seinen Augen jenen Ort zu entdecken, wo die Seele wohnt, der Geist oder wie immer man es nennen will, jenes Etwas, das im Gegensatz zu seiner Hülle nicht altert.» Stark!
  • Sensation. Tatsächlich gab es einen Bergsteiger, der in den 1920er Jahren im Eis verschwunden ist. Sein Sohn war 80 Jahre alt, als er seinem jungen, toten Vater im Eis zum ersten Mal begegnet ist.
  • Achtung, fertig, gute Nacht. David Constantine schlägt mich mit seiner lakonischen Sprache Knockout.
  • Warnung an alle Pessimisten: Diese Short Stories beunruhigen nachhaltig. Wer also ruhig schlafen will, soll die Finger davon lassen. Und wer es dennoch wagt, dem bietet der Autor Trost mit wunderschönen Naturbeschreibungen. Eindrücklich zu lesen in der Erzählung «Die nötige Kraft».
  • Aha. Gut beobachtet, David Constantine. Aha steht für alles, was zwischen Mrs und Mr Mercer nicht ausgesprochen wird. Und das ist viel…

Daumen runter

Eine bessere Short Story als «In einem anderen Land» gibt es nicht. Wer die sechzehn anderen Geschichten im Sammelband «Wie es ist und war» an dieser hohen Latte misst, wird enttäuscht sein. Weil eben: besser geht es nicht!

Was meint ihr? Sagt mir und diskutiert auch miteinander, was ihr über «Wie es ist und war» von David Constantine denkt – auf Facebook.

Das Buch «Wie es ist und war» von David Constantine liegt auf einem weissen Teller
Legende: Gegen Weltschmerz hilft Annette König Sonne und gutes Essen. SRF

Der Autor

David Constantine, 1944 in Salford geboren, ist Autor, Dichter und Übersetzer. Er lehrte dreissig Jahre lang deutsche Sprache und Literatur in Durham und Oxford. Neben preisgekrönten Lyrik- und Short-Story-Bänden schrieb er zwei Romane und übersetzte deutsche Klassiker wie Goethe, Kleist und Brecht ins Englische. Heute lebt er in Oxford und Scilly. «Wie es ist und war» wurde von Dirk von Gunsteren übersetzt.

Das Buch: David Constantine: «Wie es ist und war» (2017, Kunstmann Verlag)

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Die BuchKönig

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Ich, Annette König, bin Redaktorin bei SRF Literatur. In meinem Bücher-Blog teile ich meine Lese-Leidenschaft mit allen, die Bücher lieben. Nebenwirkungen wie Herzklopfen, Melancholie, Heiterkeit, Verzauberung, Unbehagen und Anzeichen schwerer (Sprach)Verliebtheit sind nicht ausgeschlossen.

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