Ich wollte schon lange nachfragen, was denn nun mit dem Onkel meines Onkels geschehen sei. Als Kind hatte mir mein Onkel ein Bild von ihm gezeigt. Ein eingerahmtes Gemälde eines ernst dreinschauenden Mannes mit hoher Stirn und neugierigem Blick, der – so sagte mein Onkel – von einem Drachen gefressen wurde. Mein Interesse war geweckt.
Mein angeheirateter Onkel heisst Nikolaus von Reding und wohnt mit meiner Tante Béatrice in seinem Herrschaftshaus in Schwyz. Die «Schmiedgasse» wie man das Gebäude hier nennt – schliesslich nimmt das Anwesen die Gasse grosszügig ein – ist schon seit elf Generationen in der Adelsfamilie.
Die von Redings waren und sind noch immer bekannt hier in Schwyz. Als Vögte und Landammänner, Schlachtenführer und Söldnermanager prägten sie die alte Eidgenossenschaft. Die Gänge des Hauses sind dicht behangen mit Gesichtern der Vorfahren.
Unter ihnen: Rudolf von Reding von Biberegg, der Mann mit dem neugierigen Blick, geboren im Jahre 1895. Er war der Lieblingsonkel meines Onkels Nikolaus. Einer, der aus der Reihe tanzte und etwas Antiautorität ins strenge Familienhaus brachte. Ein Lebemann und Jäger, der es verstand Kinder und Erwachsene zu beeindrucken. Als frisch promovierter Jurist wurde er schon mit 27 als IKRK-Delegierter eingesetzt . Und – zu meinem Erstaunen – 1931 erster Generalsekretär der SRG (damalige Rundspruchgesellschaft) wurde. Genau dieser Onkel Ruedi verschwand 1974 auf der Insel Komodo für immer.
Zwei Jäger auf Augenhöhe
Seit ich mit 19 nach Indonesien reiste, faszinieren mich die Komodowarane, diese riesigen Echsen mit scharf bekrallten Beinen und tropfendem Speichel. Obwohl die letzten Drachen einzigartig sind, ist die Komodo-Forschung erst 30 Jahre alt. Bis zum heutigen Tag weiss man nicht mal wie alt sie werden. Man weiss jedoch, dass sie raffinierte Überlebensstrategien entwickelt haben, dass sie dank ihrer Giftdrüsen selbst Büffel lahmlegen oder dass sich Weibchen via Parthenogenese fortpflanzen können:
Die Drachendamen klonen sich ohne Hilfe der Männchen und gebären so Söhne, mit denen sie sich später vermehren können. Natürlich vorausgesetzt, sie fressen sie nicht – denn kannibalisch sind die Echsen auch.
Für den Onkel meines Onkels wurden die Warane am 18. Juli 1974 wohl zum Verhängnis. Mit 79 Jahren bereiste er die Insel Komodo. Er sollte als Jagdexperte eine Filmcrew zu unterstützen, erzählt mir Onkel Nikolaus. Es war heiss an diesem Tag, die Luftfeuchtigkeit hoch. Onkel Ruedi wollte nach vollbrachter Arbeit und einer kurzen Pause allein zum Schiff zurückkehren – und verschwand hierbei für immer. Seine Frau Marguerite, Freunde, Hilfstruppen, selbst das indonesische Militär – alle suchten vergeblich nach ihm. Die logische Schlussfolgerung: Der passionierte Jäger traf auf die Komodowarane, Jäger ihrerseits und wurde gefressen. Ein tragisches Ende? Nein, sagt sein Neffe Nikolaus von Reding. «Ein Ende ganz nach dem Gusto von Jäger Onkel Ruedi».