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«Wir sehen eine Heldin, die sich ins Leben stürzt»
Aus Morgengast vom 11.06.2024. Bild: Welttheatergesellschaft Einsiedeln
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Einsiedeln im Theaterfieber Ein Stück über die existenziellen Fragen des Lebens

Das Welttheater in Einsiedeln feiert Premiere. Rund 500 Laien proben seit Monaten für das Freilichttheater.

Das Welttheater des spanischen Dichters Pedro Calderón wird seit hundert Jahren immer wieder in Einsiedeln aufgeführt. Nach elf Jahren ist es nun wieder soweit: Rund 200 Laien-Schauspielerinnen - und Schauspieler feiern heute Dienstag Premiere. Für den Regisseuren Livio Andreina ist die grosse Produktion eine besondere Ehre.

Livio Andreina

Regisseur und freischaffender Schauspieler

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Livio Andreina absolvierte ein Regie- und Schauspielstudium an der Schauspielschule in Arnhem in den Niederlanden. Danach besuchte er die «Schule für dramatische Kunst» in Moskau. Seit 1978 arbeitet Andreina als freischaffender Schauspieler und als Regisseur. Der gebürtige Luzerner ist an Theatern in der Schweiz, aber auch in den Niederlanden, Russland, Georgien und Ägypten tätig. Für sein Schaffen erhielt er mehrere Preise, zum Beispiel der Kulturpreis Pro Helvetia.

SRF: Livio Andreina, wie nervös sind Sie so kurz vor der Premiere?

Livio Andreina: Ich bin schon ein wenig aufgeregt. Aber eigentlich habe ich eine Riesenfreude, dass wir heute Abend endlich das Geschenk auspacken können, das wir seit November vorbereitet haben.

Rund 500 Laien sind am Welttheater beteiligt – von Schauspielerinnen über den Chor bis zu den Helfern. Wie ist es, für so viele Leute Regie zu führen?

Ich habe ein wunderbares Ensemble. Da muss ich zuerst auf das Vertrauensfeld aufpassen, so dass wir zusammen auf die Entdeckungsreise gehen können, die das Theater bietet. In diesem künstlerischen Prozess kann man etwas ganz Neues erfahren. Für viele verändert es sogar ihr Leben. Aber vorerst ist es eine pädagogische Arbeit: Ich muss dem Ensemble schauspielerische Mittel in die Hand geben und auf allen Ebenen ihren Fähigkeiten entsprechen. Ich muss sie fordern und mit ihnen proben – aber ich darf sie auch nicht überfordern. Dann entsteht grosse Kunst.

Gibt es ein Erlebnis aus den Proben, das ihnen besonders geblieben ist?

Eines Abends hat es «geschüttet» wie verrückt. Nach zwei Stunden habe ich gedacht: Ich brauche noch einen Durchlauf. Die Leute sahen aus wie Raupen mit ihren Pelerinen. Ich habe sie gefragt, ob wir nicht nochmals einen Durchlauf machen wollen und bekam ein herzliches «Ja» als Antwort. Das hat gezeigt, dass ich mit diesem Ensemble weit gehen kann.

Worum geht es im Stück «Das grosse Welttheater» von Pedro Calderón?

In der Geschichte will Gott wieder einmal ein gutes Theaterstück sehen. Gott ruft die Welt, sie solle ihm eine Bühne und Kostüme vorbereiten für die Rollen. Der Bauer, der König, der Arme, die Vernunft, die Reiche, die Schönheit. Die Welt antwortet: «Ich habe das schon drei Mal gemacht und du hast ja gesehen, was geschehen ist.» Aber sie muss.

Das Stück stammt aus dem 17. Jahrhundert. Wurde der Inhalt auf die heutige Zeit angepasst?

Die Grundlage haben wir übernommen: Die Welt als Bühne und wir Menschen müssen die Rollen darauf spielen. Es geht im Stück um die existenziellen Fragen des Menschen: Was ist meine Rolle? Was ist ein gutes Leben? Wofür bin ich bereit, zu sterben? Also ganz tiefe Fragen. Der Unterschied zu Calderón ist, dass bei uns eine Frau alle Rollen spielen muss. Wir sehen eine Heldin, die sich ins Leben stürzt und alle Abgründe, Freude, Leben und Tod erlebt. Das war der Schlüssel für unsere neue Fassung.

Die Proben dauern seit November. Wie motivieren Sie Ihr Ensemble?

Dadurch, dass wir an den tiefen Fragen des Lebens arbeiten, wird jede Probe auch eine Auseinandersetzung: Wie ticken wir? Welches Verhältnis haben wir zu Religion, zu Gott, zum Anderen? Wir haben zusammen gemerkt, dass wir zusammen eine grossartige Geschichte auf dem Platz erzählen wollen. Die Proben waren eine Vorbereitung dafür.

Das Gespräch führte Elena Bernasconi.

Morgengast, Radio SRF 1, 11.6.24, 7.10 Uhr ; 

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