Militärpilot im Dilemma
Manchmal fehlt die Zeit für Pro-Kontra-Listen. «Ich flog mit 200 Metern pro Sekunde, ohne Sicht, ohne Orientierung, ohne Höhenangabe. Über dem Mittelland zwar, doch ich wusste: irgendwo sind die Hügel», erzählt P. K. über den Tag, als er sich mit dem Schleudersitz aus dem Militärflugzeug schleuderte.
«War es ein Fehlentscheid?»
Als Militärpilot flog er damals eine Übung in einem Hunter-Kampfflugzeug. Bodenangriffe. Doch mit der Bewölkung rechnete er nicht. «Meine Gedanken überschlugen sich, ein Gewitter im Kopf. Die Entscheidung, den Schleudersitz zu ziehen, war ein Reflex. Ein Überlebensreflex.» Doch dann passierte nichts. Eine lange Sekunde lang, weitere 200 Meter.
Die Entscheidung, den Schleudersitz auszulösen, ist eine Niederlage für einen Piloten.
Der ehemalige Militärpilot kann sich noch an den Knall erinnern. Die Beschleunigung des Abschusses. Das Abbremsen an der frischen Luft. Bewusstlos segelte er zu Boden, wo er mit seinem Fallschirm in der Zugoberleitung hängen blieb. «Ich hatte unglaublich viel Glück!» Der abstürzende Hunter beschädigte nichts und niemanden, er selbst wurde nur verletzt und fand Unterstützung bei seinen Militärkollegen. «Mit der Entscheidung haderte ich aber lange», erzählt P. K. Jahre nach dem Unfall.
Eine Entscheidung wird zur richtigen, indem wir sie zur richtigen machen.
Das Problem von Entscheidungen sei, dass sie auf die Zukunft ausgerichtet sind, sagt Philosoph Rayk Sprecher. Aber die Zukunft kommt erst noch. Erst dann bestätigt sich, ob die Entscheidung gut oder richtig war – oder eben nicht.
«Das Kloster übernimmt alle Entscheidungen»
Edith Baltisberger hat es sich lange überlegt. Sowohl die Entscheidung, ins Kloster einzutreten – «der Tod meiner Mutter war für mich ein Zeichen» – wie auch der Entscheid zum Austritt vierundzwanzig Jahre später. Edith Baltisberger hatte Respekt vor der Reaktion ihres Vaters. «Er war doch so stolz», erzählt die ehemalige Klosterfrau.
Ganz banale Entscheidungen fallen mir heute noch schwer.
«Im Kloster wurden uns alle Entscheidungen abgenommen.» Keine Steuererklärung, keine Bankauszüge, aber auch kein freier Wille. Im Schreiben an den Papst, in dem sie ihn um den Austritt bat, brachte es Edith Baltisberger auf den Punkt: «Ich bin nicht mehr ich selbst.»
Ich würde auch gerne jede Entscheidung bewusst fällen.
Bewusste Entscheidungen brauchen unglaublich viel Energie, sagt Psychologin Ester Reijnen, «deshalb fällen wir die meisten Entscheidungen schnell und unbewusst.» Mit ihrem Team erforscht sie das «Nudging», also das Anstupsen zu einem besseren Entscheid. Wir würden immer beeinflusst, ob wir das wollen oder nicht, sagt die Psychologin. Die Frage sei nur, wie wir diesen Mechanismus positiv nutzen können.
«Das Gericht entscheidet über Taten von Menschen»
Während Patrick Guidon seine Arbeit macht, sitzt er zwei Treppenstufen über seinem Gegenüber. Er ist Präsident des Kantonsgerichts St. Gallen und entscheidet über das Leben von Rasern und Mördern.
Die Verantwortung, über Taten anderer Menschen zu richten, ist grösser, als wenn ich für mich selbst entscheide.