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Faszination «Lost Places» «Es ist wie eine Reise in einer Zeitkapsel in die Vergangenheit»

Was andere als Schandflecken in der Landschaft bezeichnen, sind für ihn die Objekte der Begierde. Jedes Wochenende reist Oliver Gutfleisch durch die Schweiz, auf der Suche nach verlassenen und nicht mehr genutzten Gebäuden. Diese fotografiert er – der Ästhetik wegen, aber auch wegen der Geschichten und für die Nachwelt.

Oliver Gutfleisch

Fotograf und «Urbexer»

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Hauptberuflich arbeitet Oliver Gutfleisch (51) als Schreiner. Die Fotografie war seit jeher sein Hobby. 2017 packte ihn die Faszination verlassener Gebäude. Rund 460 Objekte in der Schweiz hat er seither aufgespürt, dokumentiert und fotografiert. 2021 publizierte er das Buch «Lost Places Schweiz» beim Brunner Verlag.

Radio SRF 1: Warum fotografieren Sie diese verlassenen Orte?

Oliver Gutfleisch: Es ist, als ob man in einer Zeitkapsel in die Vergangenheit reist. Zum Teil sind die Gebäude seit Jahrzehnten in quasi unverändertem Zustand. Die Betten stehen noch dort. An den Wänden hängen noch Bilder. Zeitungen liegen herum. Auf dem Nachttisch stehen vielleicht noch Medikamente. Das alles gibt Aufschluss über die Menschen, die einst hier lebten.

Es ist, als ob man in einer Zeitkapsel 70 Jahre zurückreist.
Autor: Oliver Gutfleisch Fotograf und «Urbexer»

Das ist die Faszination. Wenn es mir dann noch gelingt diesen Ort fotografisch schön festzuhalten, dann ist das ein zusätzlicher «Wow-Effekt». Diese Bilder lösen wiederum Emotionen aus. Es gab schon Hausbesitzer, die beim Anblick der Fotografien weinen mussten. Was will man noch mehr. Viele Dinge gehen je länger je mehr verloren. Ich erhalte einen Teil für die Nachwelt.

«Lost Places» in der Schweiz

Je älter desto besser?

Grundsätzlich ja. Je älter und je mehr im «Urzustand» ein Objekt ist, desto interessanter wird es. Schlussendlich geht es um die Geschichten. Erst durch diese erhält eine Fotografie ihren Wert, egal was man fotografiert. Je mehr man weiss, desto faszinierender wird es. Bei jedem Objekt versuche ich nebst dem Baujahr auch etwas über die Geschichte und die letzten Bewohner zu erfahren.

Die Schweiz ist ein aufgeräumtes Land. Gibt es hier überhaupt verlassene Orte?

Man glaubt es gar nicht, aber die gibt es. Gebäude, die seit Jahrzehnten verlassen sind, gibt es in der Schweiz natürlich nicht wie Sand am Meer. Man muss sie suchen und braucht etwas Glück.

Und wie finden Sie die?

Google Maps und Google Earth sind sehr hilfreich, damit klappere ich ganze Gebiete ab. Zum Teil erkennt man gar eingestürzte Dächer. Ich lasse meine Fantasie walten, suche im Internet nach Begriffen wie «Schandfleck» oder «verlottertes Haus». Vieles entdecken meine Kollegin und ich auch unterwegs. Dann sprechen wir die Nachbarn an, ob das Gebäude tatsächlich unbewohnt ist und erkunden uns nach den Besitzerinnen.

Hinterlasse nichts als deine Fussspuren und nimm nichts mit, ausser deine Fotografien.
Autor: Kodex der Fotografinnen von «Lost places»

Wie viele verlassene Orte haben sie schon erkundet?

Ziemlich genau 460. Ich dokumentiere alles akribisch: Den Zeitpunkt des Besuchs, das Baujahr, den Zustand, die Objektart und auch die Koordinaten.

Aber die Koordinaten, die sind geheim?

Es ist einer der Grundsätze, an die ich mich halte. Das Publikmachen eines Standorts ist das Dümmste, das man machen kann. Auch poste ich in den sozialen Medien keine Aussenaufnahmen oder nur, wenn das Objekt bereits abgerissen wurde. Sonst gibt es am Wochenende einen Aufmarsch an Schaulustigen.

Innerhalb weniger Wochen kann ein verlassener Ort zerstört sein. Denn leider halten sich nicht alle an unseren Kodex, der lautet: «Hinterlasse nichts als deine Fussspuren und nimm nichts mit, ausser deinen Fotografien.»

Wie sieht es rechtlich aus?

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Trabant
Legende: Oliver Gutfleisch

Fotograf Oliver Gutfleisch über die Grauzonen seines Hobbys:

  • Jedes Objekt, egal ob kleiner Schopf oder Villa, gehört jemandem. Egal, wie der Zustand ist.
  • Auch wenn ein Haus kurz vor dem Abbruch steht und die Türen sperrangelweit offenstehen, begeht man Hausfriedensbruch, wenn man es ohne Erlaubnis betritt.
  • Wir versuchen immer die Besitzerinnen ausfindig zu machen. Die meisten sind sehr wohlwollend. Es ist eine «Win-win-Situation». Sie erhalten mit den Fotografien ein Zeitdokument ihres Gebäudes im «Urzustand», bevor dieses abgerissen oder verkauft wird.

Bücher, Blogs, soziale Medien: «Lost Places» sind beliebte Motive und scheinen immer mehr Menschen in den Bann zu ziehen. Wie schätzen Sie das ein?

Grundsätzlich ist es schön. Ich bin auch auf diesen Zug aufgesprungen. Aber es gibt eine gewisse Übersättigung. Einige Objekte sind leider nicht mehr «lost», sondern heruntergewirtschaftet, totgesprayt, ja kaputt gemacht. Es gibt Foren, da werden einem alle Informationen zu einem Objekt auf dem Silbertablett präsentiert. Damit habe ich Mühe.

Ehemaliges Sanatorium bei Piotta.
Legende: Der bekannteste «Lost Place» der Schweiz Imposant und faszinierend sei das Sanatorium in der Leventina, so Gutfleisch, aber egal zu welcher Tageszeit, hier treffe man immer auf andere Leute. Keystone

Gewisse Objekte kann man mittlerweile gegen Eintritt offiziell besuchen, zum Beispiel das ehemalige Grandhotel Locarno oder ehemalige Heilstätten bei Berlin.

Das finde ich prinzipiell nicht schlecht. Dann ist es legal und kontrolliert. Gerade für Einsteigerinnen, die Lust haben, mal einen verlassenen Ort zu fotografieren, ist das eine gute Möglichkeit.

Buchtipp: «Lost Places Schweiz»

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Haus
Legende: Ein Wohnhaus mit angebauter Scheune. Oliver Gutfleisch

Mit dem Fotobuch gibt Oliver Gutfleisch Einblick in die Geschichte der Objekte und deren ehemaligen Bewohner. Alle Bilder wurden in der Schweiz aufgenommen. (Brunner Verlag, 2021)

Verlassene Skilifte

Auch in den Schweizer Bergen findet man so manche verlassenen Orte. Buchautor und Skitourenexperte Daniel Anker ist auf 49 Berge gestiegen, auf die einst ein Lift fuhr. Nicht wenige Anlagen stehen noch heute auf dem Berg.

Beispiele für ehemalige Skigebiete «Lost Ski Area Projects»

Buchtipp: «Après-Lift»

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Buchcover Après Lift
Legende: Skitouren, wo einst eine Piste war. AS Verlag / Daniel Anker

Daniel Anker präsentiert in seinem Buch 49 Skitouren auf Ex-Bahn-Berge in der Schweiz. Das Buch erscheint am 13. Januar 2022 beim AS Verlag.

Das Gespräch führte Fabio Flepp.

Radio SRF 1, Morgengast, 13. Januar 2022, 7:15 Uhr ; 

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