Es gibt kein allgemeingültiges Rezept für den Umgang mit Hass im Netz. Es gilt, jeden Fall einzeln zu betrachten und eine geeignete Strategie zu definieren. Die Soziologin Lea Stahel, die an der Universität Zürich zu Hassrede forscht, empfiehlt in einem ersten Schritt eine Einschätzung: «Wer hat mich angegriffen? Wie viele Leute sind das? Was ist der Inhalt des Angriffes? Was will ich mit meiner Reaktion erreichen? Und was habe ich für Bewältigungsstrategien?»
Der Verein #NetzCourage , der sich gegen digitale Gewalt engagiert, empfiehlt drei Sofortmassnahmen:
- Die Attacke dokumentieren: inklusive Screenshots, Datum, Uhrzeit und Plattform
- Sich selbst schützen: «Lass den Psychoterror nicht an Dich ran. Tu Dir etwas Gutes, schalte die Geräte ruhig aus und sei versichert: Es geht vorüber», heisst es auf der Webseite von #NetzCourage.
- Hilfe holen: sich an Freundinnen und Bekannte oder an Fachpersonen wenden. Diese helfen dabei, eine geeignete Strategie zu definieren.
Strafanzeigen können etwas bewirken
Lea Stahel gibt zu bedenken, dass nicht alle Beratungsstellen die Kompetenzen haben, um die Betroffenen ausreichend zu unterstützen: «Der Umgang mit digitaler Hassrede erfordert spezifische Strategien. Für Weiterbildungen in diesem Bereich fehlen den Beratungsstellen aber oft die Ressourcen.» Der Verein #NetzCourage versucht nach eigenen Angaben, diese Lücke im Beratungsangebot zu schliessen.
Kommentare, die auf die Empathie der Täter abzielen, helfen am meisten.
Wenn es zu diskriminierenden Äusserungen und Drohungen kommt, kann eine Strafanzeige durchaus sinnvoll sein. «Leute, die im Internet andere Menschen beschimpfen, machen eine klare Unterscheidung zwischen online und offline. Mit einer Anzeige führt man ihnen vor Augen, dass ihr Online-Verhalten auch in der Offline-Welt Konsequenzen hat. Dadurch kann ein Lernprozess angestossen werden», sagt Lea Stahel.
Die Forschung habe gezeigt, dass eine Verhaltensänderung dann sehr wahrscheinlich sei: «Insbesondere, wenn Kommentarschreibende Strafen zahlen müssen und es finanziell wehtut.»
Wir alle tragen Verantwortung
Dominik Hangartner, Professor für Politikanalyse an der ETH Zürich, findet es sehr wichtig, dass man sich überlegt, welche Strategien den Opfern von Hassrede helfen könnten. Doch genauso wichtig ist für ihn, dass man den stummen Mitlesenden Werkzeuge gibt, um die betroffenen Menschen zu unterstützen.
Hangartners Forschung liefert überraschende Ergebnisse. «Kommentare, die auf die Empathie der Täter abzielen, helfen am meisten. Wenn man diese dazu anregt, sich in die Lage der betroffenen Person zu versetzen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Kommentar löschen und zumindest in der näheren Zukunft weniger Hasskommentare verfassen», erklärt der Professor.
Zudem geht es nicht nur darum, beim Täter selbst eine Verhaltensänderung zu bewirken, sondern auch den stummen Mitlesenden zu zeigen, dass Hassrede nicht einfach als normal hingenommen werden soll. Laut Dominik Hangartner tragen wir als Mitdiskutierende alle eine Verantwortung: «Wir sollten zu einem Diskussionsklima beitragen, in dem man durchaus harte Diskussionen führen kann – aber eben auch faire.»