Wer den Schweizer Pass hat und über 18 Jahr alt ist, darf abstimmen und wählen. Würde man meinen. Ein Teil der Bevölkerung ist davon jedoch ausgeschlossen, nämlich jene Personen, «die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind». So steht es im Artikel 136 der Bundesverfassung.
Konkret bedeutet dies: Personen, die wegen dauernder Urteilsunfähigkeit unter umfassender Beistandschaft stehen oder durch eine vorsorgebeauftragte Person vertreten werden, sind vom Stimmrecht ausgeschlossen. Dies betrifft aktuell in der Schweiz rund 16'000 Menschen.
Die Formulierung im Art. 136 ist nicht mehr zeitgemäss, werden doch Begriffe verwendet, die als diskriminierend angesehen werden. Zudem bedeutet die Regelung, dass die Meinung der betroffenen Menschen mit Beeinträchtigungen nicht zählt. Dies widerspricht der UNO-Behindertenrechtskonvention, die die Schweiz ratifiziert hat.
Knappes Ja in der Kommission
Eine Motion vom Berner EVP-Nationalrat Marc Jost, beauftragt den Bundesrat, die Bundesverfassung zu ändern. Die politischen Rechte in Bundessachen sollen allen Schweizerinnen und Schweizern ab 18 Jahren zustehen. Auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sollen abstimmen und wählen dürfen.
Die staatspolitische Kommission des Nationalrats hat die Motion knapp angenommen (Stichentscheid durch die Kommissionspräsidentin). Für die Umsetzung standen zwei Varianten zur Debatte: Entweder soll allen betroffenen Personen das Stimm- und Wahlrecht erteilt werden, oder es soll in Einzelfällen eine Prüfung vorgenommen werden.
Die Kommission entschied sich für die erste Variante. Diese bringe weniger Bürokratie mit sich. Zudem drohe bei einer Einzelfallprüfung eine erneute Diskriminierung. Denn auch bei Menschen ohne Behinderung wird nicht abgeklärt, ob sie verstehen, worüber sie abstimmen.
Der Bundesrat empfiehlt die Annahme der Motion. Als Nächstes ist das Parlament am Zug. Da es sich um eine Verfassungsänderung handelt, wird am Schluss das Stimmvolk das letzte Wort haben.
Die Kantone machen Druck
Inzwischen haben Genf und Appenzell-Innerrhoden Menschen mit geistiger Beeinträchtigung das Stimmrecht für kantonale Urnengänge zugesprochen. In Genf werden die betroffenen Menschen zudem in einfacher Sprache über die Abstimmungsvorlagen informiert. In den Kantonen Zürich, Zug, Glarus, Neuenburg und Solothurn gibt es gleiche Bestrebungen. Dieser Druck aus den Kantonen könnte dem Anliegen auch auf Bundesebene zum Durchbruch verhelfen.
Gegner befürchten Missbrauchspotential
Von bürgerlicher Seite wird das Stimm- und Wahlrecht für Personen mit geistiger Beeinträchtigung abgelehnt. Die Verfassungsänderung berge ein grosses Missbrauchspotential. Es wird befürchtet, dass die Beistände faktisch das Wahlrecht ihrer Schützlinge übernehmen würden. Auch dass nicht mündige und nicht handlungsfähige Personen in ein politisches Amt gewählt werden könnten, sei nicht vertretbar.
Sollen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung auf Bundesebene abstimmen und wählen dürfen oder nicht? Soll es eine generelle Regelung geben, oder im Einzelfall entschieden werden? Diskutieren Sie mit in den Kommentaren.