Irgendwann bekommen gefühlt alle im Bekanntenkreis Kinder. Wer keine hat, ist die Ausnahme. Wie lebt sich ein kinderfreies Leben in einer Gesellschaft, in der Kinder zu haben immer noch als Norm gilt?
Das eigene Leben bewusst gestalten
Spontan ein Wochenende in die Berge. Von heute auf Morgen die Koffer packen und um die Welt ziehen. Oder einfach Raum und Zeit für nichts. Wovon viele Eltern nur träumen können, ist für Nadine (42) und ihren Partner Realität. Gemeinsam haben sie sich für ein kinderfreies Leben entschieden. «Aber man muss mit dieser Freiheit umgehen können», sagt Nadine.
Ein Leben ohne Kinder lehre sie, das eigene Leben bewusst zu gestalten. Es seien keine Kinder da, die Ablenkung und Abwechslung bringen würden. «Ich muss mir meine Highlights selbst suchen.» Der 42-Jährigen fällt das nicht schwer. Sie weiss und spürt, was sie gerne macht.
Plötzlich alleine, wenn die Freundinnen Kinder kriegen
Und doch habe es eine Zeit gegeben, in der sie sich gewünscht hätte, ebenso den Kinderwunsch zu spüren wie ihre Freundinnen. «Lange sind wir alle den gleichen Weg gegangen», sagt sie. «Ab 30 ist eine nach der anderen abgebogen und hat eine Familie gegründet. Plötzlich stand ich allein da.» Nadine musste sich umorientieren, neue Freunde suchen, die Zeit und Lust hatten, etwas zu unternehmen.
Bei Frauen heisst es: Ah, ihr ist die Karriere wichtiger als Kinder. Ein Mann ohne Kinder ist hingegen ein Lebemann.
Dass sie sich als Frau für ein kinderfreies Leben entschieden hat, sagt Nadine, sei von ihrem Umfeld nie in Frage gestellt worden. Und doch spürt die Therapeutin, die in einer festen Beziehung lebt, einen gewissen Beigeschmack, wenn es um ihre Entscheidung geht: «Männer, die keine Kinder haben oder wollen, werden weniger bedauert.» Diese gelten eher als freiheitsliebende Lebemänner. Von Frauen hingegen, die keine Kinder haben und ihre Energie in die Arbeit stecken, hiesse es schnell: «Ah, ihr ist die Karriere wichtiger als Kinder.»
Nicht jede Frau hat einen Kinderwunsch
Diese andere Wertung spürt auch Natalie Schafroth. Die 35-jährige Marketingfrau stellt immer wieder fest: «Frauen, die keine Kinder haben, werden in ihrer Entscheidung nicht ernst genommen.» Die Leute gingen automatisch davon aus, dass sie als Frau diesen Wunsch verspüre. Wenn nicht jetzt, dann eben bestimmt in den nächsten Jahren oder mit dem richtigen Partner.
Darüber kann Natalie Schafroth nur den Kopf schütteln: Kinder kriegen als «Nonplusultra» – dabei erlebe sie viele Paare mit Kindern, die nicht besonders glücklich scheinen. «Und warum fragt man nur: ‹Wieso möchtest du keine Kinder?› Und nicht: ‹Wieso möchtest du Kinder?›».
Paare mit Kindern fühlen sich manchmal von meinem Lebensentwurf in Frage gestellt.
Manchmal habe sie sogar den Eindruck, dass sich Familien von ihrem Lebensentwurf ohne Kinder in Frage gestellt fühlen.
Das Leben leben – mit oder ohne Kinder
Keine Entscheidung ohne Schmerz, weiss Alex Arnold. Der 63-Jährige ist leidenschaftlicher Bergsteiger und hat sich mit seiner Partnerin Lucia Schuler (59) bewusst gegen Kinder entschieden.
Die Natur will um jeden Preis Fortpflanzung. Sich diesem Druck zu widersetzen, ist ein Kampf.
«Die Natur will um jeden Preis Fortpflanzung» – diesem Drang Widerstand zu leisten und keine Kinder zu haben, sei ein Kampf, ein Ringen. «Auch mich wollte es in dieses System drücken», sagt er. Aber er habe sich dem Druck nicht gebeugt. Ihm sei seine Freiheit, die er sich erarbeitet habe, wichtiger gewesen. Bis heute.
Lucia musste sich somit zwischen ihrem Partner und dem Kinderwunsch entscheiden. Zu Beginn habe es ab und zu noch weh getan, heute sei sie aber glücklich und wisse: «Kinder haben ist nur ein Teil des Lebens.» Es gebe noch so viel mehr, das einen fordern und freuen kann. Am Ende gehe es ja nur darum, das Leben mit all seinen Facetten zu leben. Mit oder ohne Kinder.