In über 30 Jahren Journalismus brauchte ich noch nie einen Bodyguard. Bis heute in Fidschi. In 22 Metern Tiefe. Der junge Mann kniet neben mir auf dem Meeresboden, während uns bis zu vier Meter lange Bullenhaie umkreisen. Immer, wenn einer zu nahe zu kommen scheint, hält der Taucher eine Aluminiumstange hoch. Die Fische drehen sich weg. Aber auch mein Leibwächter hat nur zwei Augen. Nervös schaue ich nach hinten. Und tatsächlich schwimmt direkt ein Hai auf uns zu. Ich stosse meinen Kumpel an. Der hält die Stange hoch. Das Tier dreht ab. Ausatmen.
Bullenhaie – oder Stierhaie – leben nicht nur im offenen Meer, sondern auch in den Mündungen von Flüssen. Eben dort, wo auch Menschen leben. Sie sind aggressiv, schnell, und gefrässig. Und wunderschön. Ich habe das Glück, von einer Insel in der Yasawa-Gruppe in Fidschi über die Räuber berichten zu dürfen. Der französische Haiexperte Dr. Thomas Vignaud betreibt hier ein ganz spezielles Projekt. Jeden Tag tauchen er und sein Team in die Tiefe und beobachten die Haie.
Länge, Identifikationsmerkmale, Verhalten. Alles wird festgehalten, und danach im Computer wissenschaftlich ausgewertet. Das Besondere: Vignaud nimmt jeweils auch einen oder zwei zahlende Touristen mit in die Tiefe. Damit finanziert er sich seine Untersuchungen.
Plötzlich sind sie da. Aus dem tiefen Blau des Meeres kommen die Haie zum Futterplatz – unerwartet, ohne Warnung. Ihre Tarnung erlaubt es ihnen, ganz nahe an ihre Opfer heranzuschwimmen, bis es zu spät ist für eine Flucht. Vignaud steckt einen Fischkopf an eine Stange, streckt sie hoch und lässt den Köder langsam zum Meeresboden sinken. Schon schnappt ihn sich ein Hai. Mit geradezu eleganter Lässigkeit. Kleine Fische schnappen sich, was übrig bleibt.
Ich habe mir lange überlegt, ob ich diese Story machen solle. Denn das Anfüttern von Wildtieren für touristische Zwecke ist eigentlich ein Tabu. So liess ich mich von einem der führenden Wildtier- Tourismusexperten der Welt beraten, dem Südafrikaner Graham Howe. Für wissenschaftliche Zwecke gebe es Ausnahmen, meinte der. In diesem Fall sei der Tourismus praktisch der Wissenschaft aufgepfropft. Nicht umgekehrt.
Dass es mehr Wissen braucht über die Meeresräuber, das ist unbestritten. Haie brauchen unseren Schutz. Viele Arten stehen am Rande ihrer Existenz. Hunderte von Millionen werden pro Jahr gejagt – Haifischflossensuppe ist eine beliebte Delikatesse, Fischstäbchen ein billiges Abendessen.
Doch heute sind für einmal nicht die Haie die Gejagten, sondern ich. Zumindest potenziell. Bullenhaie seien weltweit für die meisten Angriffe auf Menschen verantwortlich, sagt die Statistik. „Mach dir keine Sorgen“, hatte Thomas vor dem Abtauchen gemeint, „die sind ganz freundlich“. Daran denke ich, als ich wieder nervös werde und nach hinten schaue.
Prompt sitzt mir wieder einer im Nacken. Mein Leibwächter hält die Stange hoch. Ausatmen.