Würde man die Beschimpfung «gehy din muotter» auf Anhieb verstehen, stünde sie nicht im Titel dieses Artikels. Es entspricht wörtlich dem seit einigen Jahren in Mode gekommenen «figg dini Mueter». Wir erlauben uns hier die unflätigen Wörter nur deshalb, weil ein Blick in die Sprachgeschichte unser heutiges Fluchen und Beschimpfen in ein anderes Licht rückt.
Der herzige Herrgotts-Chäib
Auf Youtube zur Kultfigur geworden ist der «fluchende Bauer», der seine bockige Mähmaschine als «verreckte Stärnechäib, verreckte Herrgottschäib, verreckte Süüchäib» beschimpft. Das ist zwar nicht gerade salonfähiges Reden, aber doch so, wie Fluchen gerade noch toleriert wird.
Beliebte Anspielungen auf Sexuelles
Blicken wir 500 Jahre zurück, in Archivquellen aus dem 15./16. Jahrhundert, dann blicken wir in ungeahnte Fluchabgründe. Sexuelles und Fäkalisches ist omnipräsent!
So heisst es in einem Zürcher Gerichtsprotokoll von 1421: «Er sye ein gehigender zers-futt-schelm, und sider er die zers-futt-pfaffen-huoren hab, so künne nieman mit im ze recht komen.» «Gehigend» kann man ziemlich wörtlich mit «verfickt» übersetzen. Und «zers» war ein derbes Wort für «Penis», das man als Verstärkung vor jede beliebige Beschimpfung setzen konnte, ähnlich universal wie heute «huere»: Ein «zers keib» (wörtlich «Schwanzchäib») entspricht einem «huere Chäib».
«Saughejer» und «Chüeghejer»
Zusätzlich konnte man die Schockwirkung steigern, etwa indem man dem Gegenüber Unzucht mit Tieren unterstellte. Ein «sugehier» trieb es mit einer Sau.
Und das Übelste, womit deutsche Landsknechte ihre Schweizer Feinde provozieren konnten, war die Beschimpfung als «Chüeghejer». Eine andere Steigerung der Schimpfkraft erreichte man mit Blasphemie, indem das Niederste (Sexuelles, Fäkalisches) mit dem Höchsten (Gott) kombiniert wurde, etwa in der Verwünschung «dass dich gotts scheiss schend».
Die Zungensünden
Kein Wunder, wich man auf Verhüllendes aus wie «dass dich botz fud schende» (anstatt «gotts»). Denn das zweite Gebot verlangt schliesslich, dass man den Namen des Herrn nicht missbrauchen solle. Entsprechend konnten die sogenannten Zungensünden kirchlich und gerichtlich belangt werden.
Zu den Verbrechen, die mit der Zunge begangen werden, zählten neben Verleumdung und Verrat auch Gotteslästerung und die Schmähung der Obrigkeit. Sie wurden gelegentlich mit dem Abschneiden, Ausreissen oder Verbrennen der Zunge bestraft.
Befreiung von sozialen Fesseln
Religiöse Flüche haben ihren «impact» weitgehend verloren, obwohl ein «Gopfertammi» immer noch stärker wirkt als ein verhülltes «Gopfertori». Aber die Schockwirkung des Fluchens beruht auf der Verletzung von gesellschaftlichen Normen.
Von einer spontanen Wut befreit man sich durch den Tabubruch. Studien belegen sogar, dass kräftiges Fluchen einen Schmerz lindern kann.
Fluchen am Ende?
Das Fluchen stirbt deshalb nicht so schnell aus, wie es der Schweizer Fluchforscher Andreas Lötscher 1981 prophezeite (siehe Box «Quellen»). Es stimmt zwar, dass die sozialen Normen heute viel enger sind und dass wir im Vergleich zum Spätmittelalter mehr Kontrolle über unsere Affekte haben.
Aber parallel dazu erobert sich die Jugend verlorenes Fluchrepertoire zurück, genährt von zugewanderten Fluch- und Schimpfkulturen und vom Englischen. Das im 15. Jahrhundert in Glarus belegte «gehy din muotter» entspricht wörtlich dem seit einigen Jahren in Mode gekommenen «figg dini Mueter». Back to the roots, sozusagen.