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Fremdwörter: cool oder doof?
Aus Dini Mundart vom 29.02.2024.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 3 Minuten 48 Sekunden.
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Fremdwörter: cool oder doof? Sollten wir weniger Fremdwörter verwenden?

Ein Viertel des deutschen Wortschatzes besteht aus Fremd- bzw. Lehnwörtern. In anderen Sprachen ist dieser Anteil deutlich tiefer. Das hat mit Sprachidentität und aktiver Sprachpolitik zu tun.

Ungefähr jedes vierte deutsche Wort ist kein «Erbwort», sondern aus einer anderen Sprache entlehnt. Heute fallen vor allem die neueren Fremd- oder Lehnwörter auf, hauptsächlich Anglizismen: Meeting, Influencer, queer, chillen, swipen...

Eine Frau hält eine Tafel in die Kamera. Darauf steht «Giveaway».
Legende: Etwa jedes zehnte Fremdwort im Deutschen kommt aus dem Englischen. Colourbox

Unser Wortschatz besteht aber noch aus viel mehr Wörtern aus anderen Sprachen. Dass Ballon, Paket oder Terrasse aus dem Französischen entlehnt sind, dachten Sie vielleicht. Aber hätten Sie gewusst, dass Keller, Nase oder Essig ursprünglich aus dem Lateinischen kommen? Diese Wörter sind schon so lange Teil des deutschen Wortschatzes, dass sie nicht mehr als fremd wahrgenommen werden.

Meiste Entlehnungen aus dem Lateinischen

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Etwa jedes dritte Lehnwort im Deutschen kommt aus dem Lateinischen, jedes Vierte aus dem Französischen. Englisch kommt «erst» auf Platz vier mit einem Anteil von etwa zehn Prozent am deutschen Fremdwortschatz (die Zahlen gehen zurück auf eine Untersuchung des Etymologischen Wörterbuchs von Kluge).

Schaut man einen durchschnittlichen deutschen Text aus den 2020er-Jahren an, sieht die Verteilung etwas anders aus: «Nur» etwa zehn Prozent der Wörter in einem Durchschnittstext sind Lehnwörter, knapp die Hälfte davon aus dem Englischen.

Das liegt daran, dass deutsche Erbwörter und Anglizismen in aktuellen Texten frequenter sind als etwa die vielen Fachwörter aus dem Lateinischen. Wörter wie Äquilibristik, Guttation oder Ventrikel stehen zwar kaum je in einem Text, gehören aber alle zum deutschen Wortschatz.

Isländisch: Fremdwörter um (fast) jeden Preis vermeiden

Touristen bestaunen eine heisse Quelle auf Island.
Legende: Island ist die grösste Vulkaninsel der Welt und bekannt für seine heissen Quellen. Der isländische Sprachpurismus ist weniger bekannt, aber genauso interessant. Keystone/Kristy Wigglesworth

In anderen Sprachen ist der Fremdwortanteil deutlich kleiner als im Deutschen. Ein Extrembeispiel ist das Isländische: Lehnwörter machen hier nur zwei, drei Prozent des Wortschatzes aus. Und ihr Anteil wird aktiv niedrig gehalten.

Die staatlich unterstützte Isländische Sprachkommission macht Vorschläge, wie Fremdwörter durch isländische Neuschöpfungen ersetzt werden können: Der Kampfpanzer etwa heisst auf Isländisch «skriðdreki» (wörtlich 'Kriechdrache') und statt dem englischen «queer» soll man «hinseginn» (wörtlich 'anders') verwenden.

In öffentlichen Schreiben halten sich die Isländerinnen und Isländer ziemlich strikt an die Vorgaben – die Umgangssprache und die digitale Kommunikation seien aber deutlich stärker von Lehnwörtern geprägt, erklärt die Nordistin Lena Rohrbach von den Universitäten Basel und Zürich. Da würden oft Anglizismen verwendet wie etwa «partý» statt dem isländischen Wort «samkvæmi» 'Zusammenkunft'.

Isländische «Igelmentalität»

Dass gerade Isländerinnen und Isländer ihre Sprache von fremden Einflüssen möglichst «rein» halten wollen, ist nachvollziehbar: Bis 1944 gehörte die Insel zu Dänemark – das Dänische hatte in Island einen hohen Status und beeinflusste den isländischen Wortschatz stark. Im Zuge der Nationwerdung wurde die isländische Sprache zu DEM nationalen Identifikationsmerkmal. Man «reinigte» das Isländische von den meisten dänischen und anderen Lehnwörtern und ersetzte sie mit isländischen Neuschöpfungen.

Französisch: Abneigung gegen Anglizismen

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Im Gegensatz zum Isländischen hat das Französische einen hohen Fremdwortanteil, möglicherweise über 20 Prozent. Aber neue Fremdwörter sind auch im Französischen nicht gern gesehen – zumindest, wenn es nach der staatlichen Académie française, der Hüterin der französischen Sprache geht.

Vor allem Anglizismen sind verpönt – vielleicht ein Überbleibsel der jahrhundertealten Rivalität zwischen Frankreich und England. Oder eine Reaktion darauf, dass Englisch im 20. Jahrhundert Französisch den Rang als Weltsprache Nummer eins den Rang abgelaufen hat.

Die Académie française empfiehlt etwa, statt «fake news» den Ausdruck «information fallacieuse» zu verwenden. Oder statt «think tank» «groupe de réflection» oder «laboratoire d'idéés». Allerdings finden die Empfehlungen der Académie française deutlich weniger Anklang als diejenigen der Isländischen Sprachkommission.

Ausserdem wird das Isländische von weniger als 400'000 Menschen gesprochen – da ist eine gewisse «Igelmentalität» und die Angst, die eigene Sprache durch die Aufnahme von Fremdwörtern zu «verlieren», verständlicher als in einer Weltsprache wie Deutsch.

Fremdwörter sind nicht der Untergang

Das Wort «Baisse» im Fremdwörterduden.
Legende: Ein hoher Fremdwortanteil in der deutschen Sprache kann fürs Lernen einer Fremdsprache ein Vorteil sein. Imago/ Steinach

Wie das Isländische und das Französische hat auch die deutsche Sprache eine lange Tradition der Kritik am Import von Fremdwörtern. Aber mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland einen Mentalitätswandel: Statt auf ethnische und sprachliche «Reinheit» zu pochen, begrüsste man Fremdes im Allgemeinen als Bereicherung.

«Rauchrolle» statt «Zigarre»

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Legende: Keystone/Martin Rüetschi

Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren besonders die vielen französischen Lehnwörter (die Sprache des damaligen Erzfeindes) unter deutschen Nationalisten verpönt.

Der 1885 gegründete Allgemeine Deutsche Sprachverein forderte, Fremdwörter durch deutsche Neuschöpfungen zu ersetzen. So sollte die Zigarre «Rauchrolle» genannt werden, die Polonaise «Edelreigen» und das Krematorium «Flammenhalle».

Während sich diese Vorschläge nicht durchsetzen konnten und heute etwas lächerlich anmuten, etablierten sich zumindest in Deutschland Alternativen wie «Bahnsteig» für «Perron», «Fahrkarte» für «Billett» und «Tor» für «Goal».

Natürlich regen sich auch heute viele Deutschsprachige über (gewisse) Fremdwörter auf. Aber eine Gefahr für eine grosse Weltsprache sind sie nicht. Das sieht man auch am Englischen: Lehnwörter machen etwa zwei Drittel des englischen Wortschatzes aus – trotzdem (oder gar: deswegen?) ist Englisch DIE internationale Sprache.

Ein hoher Fremdwortanteil kann sogar ein Vorteil sein: Das Lernen von Fremdsprachen, deren Wortschatz sich, mit dem der Muttersprache überschneidet, ist deutlich einfacher.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 1.3.2024, 09:40 Uhr

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