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Wenn der Vorname zur Hypothek wird
Aus Dini Mundart vom 15.09.2023.
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Kevinismus und Chantalismus Wenn der Vorname zur Hypothek wird

Bestimmte Vornamen werden mit negativen Eigenschaften in Verbindung gebracht – zu Unrecht. Das hat Konsequenzen für ihre Trägerinnen und Träger.

Anfang der 1990er-Jahre boomten die Kevins: 1990 wurde in der Schweiz jeder 57. neugeborene Bub Kevin genannt, 1991 jeder 67. In Deutschland landete Kevin 1991 auf Platz 3 (Ex-BRD) respektive 5 (Ex-DDR) der beliebtesten Jungennamen und blieb bis 1994 in den Top 10.

Macaulay Culkin trinkt eine Cola.
Legende: Kevin aus «Kevin – Allein zu Haus» (1990), gespielt von Macaulay Culkin. Keystone / MALCOLM CLARKE

Die Beliebtheit dieses Vornamens kann unschwer mit dem Film Kevin – Allein zu Haus in Verbindung gebracht werden, der 1990 in die Kinos kam. Ausserdem könnte der Schauspieler Kevin Costner mit seinem beliebten Film Der mit dem Wolf tanzt (1991) einen Einfluss gehabt haben.

Kevin kommt aus Irland

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Kevin ist die englische Version des ursprünglich irisch-gälischen Vornamens Caoimhín. Dieser setzt sich aus den Wörtern cóem 'lieb, sanftmütig' und géin 'Geburt' zusammen.

Im englischsprachigen Raum ist Kevin seit Jahrzehnten ein gebräuchlicher Vorname. In den USA war er von den 1950er-Jahren bis in die 2000er stets zwischen Platz 10 und 50 der beliebtesten Jungennamen.

Kevinismus

Ende der 2000er-Jahre, als die vielen Kevins im Jugendalter waren, musste der Name in deutschen Medien als Symbol herhalten: Unter dem Begriff Kevinismus, der ursprünglich von der Satirewebseite Uncyclopedia stammt, schrieben etwa die «Welt» oder der «Spiegel» über «klassische Unterschichtsnamen».

Sie behaupteten, finanziell schwächere Eltern in Deutschland würden ihren Kindern überdurchschnittlich häufig englische Namen wie Mandy, Peggy, Justin oder Kevin geben. Diese Kinder hätten darum mit Vorurteilen zu kämpfen – etwa in der Schule oder bei der Lehrstellensuche. Tatsächlich wies 2009 eine Studie darauf hin, dass Kinder mit solchen Namen als verhaltensauffälliger und bildungsferner eingestuft wurden.

Chantalismus

Als Pendant zum Kevinismus hat sich der Begriff Chantalismus für typische Unterschichtsnamen bei Mädchen etabliert. Chantal wird in der deutschen Popkultur als typischer Name für bildungsferne Mädchen verwendet, etwa im Film Fack ju Göhte.

Porträt von Jella Haase.
Legende: «Chantal» aus dem Film «Fack ju Göhte» (2013), gespielt von Jella Haase. Keystone / ANNETTE RIEDL

In der Deutschschweiz ist Chantal viel weniger oder gar nicht negativ konnotiert – als französischer Name ist er hier bereits seit längerem etabliert. Auch der Name Kevin hat in der Deutschschweiz wohl weniger Schaden genommen als in Deutschland.

Der Alpha-Kevin

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2015 kam in der deutschen Jugendsprache der Begriff Alpha-Kevin für einen besonders dummen männlichen Jugendlichen auf (mit Bezug auf den Terminus Alphamännchen). Dies, obwohl die meisten Kevins zu diesem Zeitpunkt schon längst erwachsen waren.

In der Abstimmung zum deutschen «Jugendwort des Jahres 2015» lag der Alpha-Kevin zeitweise an der Spitze, wurde dann aber von der Jury aus dem Rennen genommen, um Diskriminierung zu verhindern.

Keine statistische Grundlage

Das Problem mit den Begriffen Kevinismus und Chantalismus ist, dass es keine statistischen Hinweise gibt, dass Kevins, Mandys oder Peggys überdurchschnittlich oft aus Unterschichtsfamilien kommen, geschweige denn weniger intelligent seien als andere Kinder. Bereits 2012 bestätigte eine Leipziger Studie, dass viele Menschen mit diesen Vornamen ein Studium abgeschlossen haben.

Kein typischer Ossi-Name

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Namen wie Kevin, Mandy, Justin oder Chantal wurden bald auch als «Ossi-Namen» stigmatisiert, also mit finanziell schwachen Menschen aus der ehemaligen DDR in Verbindung gebracht.

Zwar waren englische Namen in Ostdeutschland seit den 1970er- und 80er-Jahren tatsächlich beliebter als in Westdeutschland. Aber gerade Kevin war in seiner Hochphase in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre in der Ex-BRD leicht beliebter als in der Ex-DDR.

Obwohl also vieles darauf hindeutet, dass Namen wie Kevin oder Chantal nicht auf die soziale Herkunft oder den finanziellen und Bildungshintergrund eines Menschen schliessen lassen, halten sich die Vorurteile hartnäckig – natürlich befeuert durch den Diskurs in den Sozialen Netzwerken und durch Medienberichte wie die oben erwähnten. Die Namensforscherin Damaris Nübling bezeichnete die Berichte über Kevinismus und Chantalismus sogar als «Hetzkampagne».

Kein neues Phänomen

Dass gewisse Namen mit bestimmten Attributen in Verbindung gebracht werden, ist kein neues Phänomen: Alte abfällige Personenbezeichnungen wie Joggel, Chaschper, Baabe oder Triine sind alle von Vornamen abgeleitet (siehe Video oben).

Noch älter ist der Ausdruck Hinz und Kunz für 'jedermann, jeder hinterletzte', der seit dem 13. Jahrhundert belegt ist und seit dem 15. Jahrhundert negativ konnotiert ist. Abgeleitet ist er von den beiden im Spätmittelalter im deutschsprachigen Raum sehr häufigen Vornamen Heinrich und Konrad, beziehungsweise von deren Koseformen Hinz und Kunz.

Namen verselbständigen sich also schon seit Jahrhunderten und können für ihre Trägerinnen und Träger zur Hypothek werden.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 15.09.2023, 09:40 Uhr

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