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Radio SRF 1 Das Fussballmärchen von 1924 – als die Schweiz unerwartet glänzte

Es war ein wahres Fussballmärchen. Als bestes europäisches Team sicherte sich die Schweiz 1924 an den Olympischen Spielen in Paris den inoffiziellen Europameistertitel. Die Eidgenossen belegten hinter Uruguay den zweiten Platz. Doch der Weg dahin war steinig. Eine Geschichte mit Happyend.

15 Tage dauerte das olympische Fussballturnier 1924 in Paris. Aber das Schweizerische Olympische Comité (SOC) war überzeugt: Für die Schweiz ist nach vier Tagen Schluss. Deshalb buchte man ein billiges Retour-Ticket für die Holzklasse, das nur zehn Tage gültig war.

Die Schweiz startete mit einem 9:0-Sieg gegen Litauen ins Turnier. Das war noch keine Sensation: «Ballbehandlung, Freistellen und Kombination scheinen den Litauern so gut wie unbekannt zu sein und nur ab und zu sieht man eine Aktion, die halbwegs als guter Fussball angesehen werden kann», schrieb die «Schweizerische Fussball- und Athletik-Zeitung» am 26. Mai 1924.

Anschliessend besiegten die Eidgenossen auch die favorisierte Tschechoslowakei. Trotz des Laufs blieb man aber pessimistisch: Vor dem Viertelfinal-Spiel gegen Italien hatte man die Koffer bereits für die Heimreise gepackt und am Bahnhof deponiert.

Man wusste, mit welcher Begeisterung Italien zu kämpfen weiss, wusste, welcher Ambition, welcher Selbstaufopferung die Söhne des Südens fähig sind.
Autor: Schweiz – Italien, 2:1 «Schweizerische Fussball- und Athletik-Zeitung», 3. Juni 1924

Doch dann warf die Schweiz überraschend den südlichen Nachbarn aus dem Turnier. «Die Witterung war kühl und ein Dunst von Grossstadtstaub lag über dem Häusermeer, das sich zu Füssen des Stadions ausbreitet», berichtete die «Schweizerische Fussball- und Athletik-Zeitung».

Auch die stärksten Optimisten konnten kaum die Hoffnung hegen, dass wir derart glänzend abschneiden würden.
Autor: «Neue Zürcher Zeitung» 3. Juni 1924

Nach dem Sieg über Italien war allerdings nicht nur das Billett für die Heimreise abgelaufen, es fehlte auch das Geld für weitere Hotelnächte. Nur dank der Fachzeitschrift «Sport» konnten die Eidgenossen weiterspielen: Sie sammelte spontan Geld in der Bevölkerung und überwies noch vor dem Halbfinal gegen Schweden 6000 Franken nach Paris.

Das Märchen konnte weitergehen: Man schlug Schweden mit 2:1, in einem durchaus attraktiven Spiel, wie die «Schweizerische Fussball- und Athletik-Zeitung» am 6. Juni 1924 berichtete.

Beidseitig wird das Spiel flach gehalten, sodass sich ein hochklassiges, spannendes Treffen entwickelt, an dem das Publikum begreiflicherweise lebhaften Anteil nimmt.
Autor: Schweiz – Schweden, 2:1 «Schweizerische Fussball- und Athletik-Zeitung», 6. Juni 1924

Bevölkerung und Presse brachen nun endgültig in Begeisterungsstürme aus. In der «Schweizerischen Fussball- und Athletik-Zeitung» liess die Nationalmannschaft aus Paris folgende Verdankung drucken: «Nach unseren Siegen über die Tschechoslowakei u. Italien sind uns aus allen Teilen der Schweiz derart zahlreiche telegraphische Glückwünsche zugegangen, dass es uns unmöglich ist, diese einzeln zu verdanken.»

Es ist der Sieg der effektiven Spielweise über die allzu verfeinerte Überkultur, die in der letzten Zeit in Europa getrieben worden ist.
Autor: «Basler Nachrichten» 6. Juni 1924

Europameister 1924

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Die Schweizerische Nationalbibliothek stellte 2008 anhand von zeitgenössischen Presseberichten die Dokumentation «Le triomphe de nos couleurs» .

Final-Niederlage und eine gescheiterte Direktübertragung in die Schweiz

Ein Radiojournalist plante für den Final eine Direktreportage aus der französischen Hauptstadt in die Zürcher Tonhalle. Mit einem gemieteten Fesselballon wollte er über dem Stade de Colombes schweben und aus der Vogelperspektive berichten. Der böige Wind trieb den Reporter allerdings ausser Sichtweite des Stadions. Die Übertragung musste abgebrochen werden, in der Tonhalle blieb es still.

Das Stade de Colombes in Paris.
Legende: Das Stade de Colombes in Paris. Imago

«Europameister» Schweiz

In der Schweiz erfuhr man erst im Nachhinein von der 0:3-Niederlage. Dass man gegen den Überflieger aus der neuen Welt untergegangen war, war indes keine Schande. Die Schweizer Nationalspieler wurden in der Heimat als Helden – und als inoffizielle Europameister – gefeiert.

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