«Wir lassen uns den Mund nicht verbieten», heisst es nach dem Terroranschlag von gestern in Paris. Tausende Menschen gehen weltweit auf die Strasse und demonstrieren für Meinungsfreiheit. Man bekundet Trauer und Solidarität mit dem Satiremagazin «Charlie Hebdo» und den 12 Opfern der Schiesserei.
«Der Anstand darf nicht verloren gehen»
Die ganze Sendung
Im «Forum» auf Radio SRF 1 diskutierten die Islamwissenschaftlerin Rifa'at Lenzin, der Schriftsteller Charles Lewinsky, der Medienwissenschaftler Guido Keel und SRF-Frankreich-Mitarbeiter Rudolf Balmer über Hintergründe zu den Anschlägen in Paris.
Im Zusammenhang mit den Anschlägen wird auch die Frage diskutiert, ob die Meinungsfreiheit über alles geht. «Natürlich geht die Meinungsfreiheit über alles. Dabei sollte aber der Anstand nicht verloren gehen», schreibt der Radio SRF 1-Hörer Roland Burkhardt. «Wenn die eigene Meinung unanständig kommuniziert wird, kann sie sehr verletzend sein. Dies nicht nur in religiösen Belangen.»
Wo kämen wir hin, wenn es islamische Terroristen sind, die unseren Journalisten und Zeichnern vorschreiben, was Anstand ist?
Charles Lewinsky: «So kann es nicht funktionieren»
Meinungsfreiheit – doch nur solange niemand verletzt wird? Auch Bruno Schütz aus Burgdorf (BE) plädiert für Anstand: «Die freie Meinungsäusserung muss verteidigt werden. Man sollte sich zu jedem Thema äussern dürfen, jedoch gehört eine Portion Fingerspitzengefühl dazu.»
Laut Schriftsteller Charles Lewinsky seien Anstand und Fingerspitzengefühl in dieser Situation nicht der richtige Weg: «Das würde bedeuten, dass immer der gewinnt, der sagt, dass er besonders sensible religiöse Gefühle habe», sagt Lewinsky im «Forum». So könne es nicht funktionieren.
Im Zusammenhang mit Anstand stelle sich zudem die Frage, wer denn definiere, was Anstand sei, wirft Journalist Rudolf Balmer in die Runde. «Wo kämen wir hin, wenn es islamische Terroristen sind, die unseren Journalisten und Zeichnern vorschreiben, was Anstand ist?», sagt der Frankreich-Mitarbeiter von SRF.
Satire weist auf Missstände in der Gesellschaft hin. Das kann auch in der Religion sein.
Medienwissenschaftler Guido Keel befasst sich beruflich mit der Funktion der Satire in der Gesellschaft. Was Satire ausmache sei, dass auf einen Missstand hingewiesen werde und dieser überspitzt dargestellt werde. So sei es auch angebracht, über religiöse Themen satirische Beiträge zu machen, wenn auf Missstände in der Religion hingewiesen werden könne.
«Provokation um der Provokation willen»
Dass Religionskritik möglich sein sollte, das findet auch die Islamwissenschaftlerin Rifa'at Lenzin.
«Wenn aber kein Missstand gegeben ist, dann ist es eine Provokation nur um der Provokation willen», sagt Lenzin. Es komme vieles als Religionskritik daher, was man bei genauerem Betrachten als Anti-Islam-Hetze bezeichnen müsste.