In der Nachbarschaft kämpften Rebellen gegeneinander oder gegen syrische Truppen. Ahmed und seine Familie wussten davon. Aber solange keine Bomben fielen, sah er keinen Grund, sein Dorf zu verlassen. Sein Leben drehte sich um den Bauernhof, das grosse Stück Land, seine Tiere und nicht um Krieg und Politik. Dann kamen eines Tages Soldaten der Regierung und nahmen seinen damals 19-jährigen Sohn Walid fest. Nach drei Tagen wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Das ging noch weitere dreimal so, ohne Grund, ohne Erklärung. Und dann kamen die Bomben. Die sechsköpfige Familie musste fliehen und fuhr mit 400 weiteren Flüchtlingen auf Lastwagen zur jordanischen Grenze. Dort hat Radio SRF 1 sie besucht.
Gebrochene Familie
Ahmed ist seit der Flucht ein gebrochener Mann. Er erlitt einen Herzinfarkt, die Erlebnisse haben ihn schwer traumatisiert. Er sitzt auf dem Kissen in einem Zimmer im jordanischen Mafraq, zittert und sieht mit seinen 65 Jahren aus wie ein Greis. In einer Ecke liegt seine 29-jährige Tochter Fatma. Sie ist in Decken gehüllt. Seit ihrer Geburt ist sie körperlich und geistig schwer behindert und braucht die ständige Pflege ihrer Mutter Shukri. Die 53-Jährige ist diejenige, die Leben in die Familie bringt. Sie erzählt mit viel Temperament, wie es ihnen hier in Jordanien ergeht. Dass ihre 15-jährige Tochter Tamara nicht in die Schule kann, der Weg sei zu weit für eine heranwachsende Frau, die Eltern zu sehr um sie besorgt. Bara (9) darf hingegen jeden Morgen zur Schule und wird in Arabisch, Englisch und Mathematik unterrichtet. Der mittlerweile 20-jährige Walid macht sich jeden Morgen auf, um in Abfalleimern nach Essen zu suchen. Als Mutter Shukri davon erzählt, bricht sie inTränen aus.
Hilfe durch Lebensmittelgutscheine
Ganz ohne Hilfe bleibt die Familie jedoch nicht. Sie ist in einem sogenannten «Gutschein-Projekt» der Caritas. Sie bekommen Lebensmittelgutscheine im Wert von 60 Jordanischen Dinar (85 Franken) pro Monat, insgesamt dreimal. Die Mutter bekommt die Gutscheine eines Caritas-Mitarbeiters und macht sich auf in den dafür vorgesehenen Shop, um Mehl, Zucker, Fleisch und Gemüse zu kaufen. Es ist nicht einfach zu entscheiden, was sie braucht und sie überschreitet mit den Waren auch die 60 Dinar. Der Ladenbesitzer drückt jedoch ein Auge zu und gibt ihr einige Lebensmittel ohne Bezahlung mit.
Wir wollen den Flüchtlingen mit den Gutscheinen eine Eigenständigkeit geben, die sie mit direkten Hilfsgüterlieferungen nicht hätten.
Lukas Voborsky ist das Bindeglied zwischen Caritas Schweiz und Caritas Jordanien, welche das Projekt ausführt. Zudem gehe es auch darum, dass das Geld für die Hilfe im entsprechenden Land eingesetzt wird und Lebensmittel und andere Hilfsgüter nicht importiert werden. So gibt es Gutscheine für Lebensmittel, Kleider, Schuhe, Babynahrung und Windeln für Kleinkinder und alte Menschen. Teilweise unterstützt die Caritas auch Familien bei ihren Mietzahlungen.
Was, wenn die Familie von Shukri dreimal Gutscheine erhalten hat und anschliessend nicht mehr Teil der Caritas-Hilfe ist? Die Mutter zuckt die Achseln, hält die Hände ausgebreitet und meint:
Mein Sohn wird weiter nach Lebensmittel suchen und Gott wird uns helfen.
Den Kindern eine Zukunft ermöglichen
Die 13-jährige Nari und ihre vier Geschwister bekommen Spielsachen, einen Ball und eine Puppe. Das Mädchen strahlt und bedankt sich, fragt aber dann doch noch zaghaft, wann sie wieder in die Schule dürfe. Seit zwei Jahren lebt sie mit ihrer Familie in einem Zelt auf einem weiten Feld. Die Schule ist acht Kilometer entfernt, das Geld für den Bus fehlt. Suhail Zreikat von Caritas Jordanien verspricht ihr, sich darum zu kümmern. Es gibt extra Schulprogramme für syrische Flüchtlingskinder. Sie haben oft mehrere Jahre die Schule verpasst und müssen die Lücken schliessen, bevor sie in die staatliche Schule eingegliedert werden können. In ein solches Programm möchte Suhail Nari gerne aufnehmen. Aber auch das ist eine Frage der Finanzierung.
Suhail Zreikat ist seit Jahren in der humanitären Hilfe tätig, aber was mit den Menschen in Syrien und in den Nachbarländern passiert, das sei unmenschlich. «Vor allem dann, wenn ich in die Augen eines Kindes schaue, sind mir dieser Krieg und die Grausamkeiten unverständlich.» Seine Aufgabe sei es, dank den Spenden Leid zu mindern und in einer unmenschlichen Situation Menschlichkeit zu zeigen.
Immer weniger Geld für die humanitäre Hilfe
Vier Jahre ist es her, seit in Syrien der Krieg ausgebrochen ist. Die Nachbarländer, welche insgesamt vier Millionen Flüchtlinge aufnahmen, haben kein Geld mehr für die Infrastruktur. Die UNO gab bekannt, dass ihr 180 Millionen Franken für die Hilfe fehlen. Und auch den Hilfswerken geht da Geld aus. Die Not ist jedoch unvermindert gross. Die Glückskette und acht ihrer Partner rufen deshalb zu einer erneuten Spendenaktion auf. In den letzten drei Jahren konnte die Stiftung auf eine enorme Solidarität der Schweizer Bevölkerung zählen. Die über 19 Millionen Franken sind jedoch praktisch aufgebraucht. Spenden sind willkommen.