Wer Opfer einer Vergewaltigung oder sexueller Nötigung wird, trägt schwer. Aber fast jeder dritte Vergewaltiger muss nicht ins Gefängnis, weil er zu einer bedingten Strafe verurteilt wurde.
So macht sich letzte Woche der wegen Mordes angeklagte F. A. lustig über eine frühere Verurteilung wegen Vergewaltigung und bezeichnete diese als «fast Freipass zum Weitermachen».
Fakten
- 82 Vergewaltiger wurden 2015 in der Schweiz verurteilt.
- 26 davon erhielten eine bedingte Strafe, sie mussten nicht ins Gefängnis.
- 532 Anzeigen wegen Vergewaltigung gab es 2015 in der Schweiz.
- Insgesamt kam es zu 1434 Anzeigen wegen Sexualdelikten (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Schändung).
- Die Dunkelziffer ist hoch: Nach Schätzung der Bundesbehörden zeigen weniger als 20 Prozent den Täter an.
- 2/3 der Opfer kennen den Täter. Es ist der Partner, Ex-Partner oder ein Bekannter (Kelly Studie).
- 1/3 der Opfer kennt den Täter nicht oder erst seit 24 Stunden (Kelly Studie).
Unangenehme Prozesse
Kein Richter mag Vergewaltigungsprozesse. Da Vergewaltigung in der Regel ein «Vieraugendelikt» ist, es also keine Zeugen gibt, steht oft Aussage gegen Aussage. In der Schweizerischen Rechtsprechung gilt: im Zweifel für den Angeklagten. Deshalb kann es zu Freisprüchen kommen. «Das heisst nicht, dass das Opfer lügt», wie der ehemalige Zürcher Staatsanwalt Ulrich Weder kürzlich festhielt.
Die Angst vor Falschaussagen
Die Angst vor Falschaussagen ist gross. Diese Angst schwingt in jeder Anzeige und jedem Prozess mit. Statistisch gesehen sind Falschaussagen sehr selten. Eine Studie aus England (2013) kommt zum Schluss, dass nur 3 Prozent der Sexualdelikte erfunden sind.
Diskussion im «Forum»
In der Sendung «Forum» diskutierten Gäste und Hörerinnen und Hörer darüber, ob wir in der Schweiz Vergewaltigungen verharmlosen – zum Beispiel, weil sich Opfer und Täter in den meisten Fällen kennen oder weil man dem Opfer eine Mitschuld gibt.
Ich hoffe, dass kein Gericht eine Vergewaltigung verharmlost!
Nicht das Gesetz, sondern vielfach die Gerichtspraxis ist zu milde.
Es gibt Vergewaltigungsmythen, zum Beispiel: Wer vergewaltigt wird, ist immer irgendwie auch selber schuld.
Was ist was?
Vergewaltigung
Das Opfer ist weiblich. Der Täter ist mit dem Penis in die Scheide eingedrungen. Der Täter hat physische oder psychische Gewalt angewendet, um den Geschlechtsverkehr zu erzwingen.
Sexuelle Nötigung
Anale oder orale Penetration sowie andere sexuelle Handlungen ausser vaginalem Geschlechtsverkehr. Opfer und Täter können Männer oder Frauen sein. Der Täter/in wendet physische oder psychische Gewalt an, um sexuelle Handlungen zu erzwingen.
Schändung
Das Opfer ist bezüglich der sexuellen Handlung urteilsunfähig, zum Beispiel Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung. Oder stark alkoholisierte oder unter Drogen stehende Personen.