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Was steckt hinter den Farben der LGBTIQ-Bewegung?
Aus Doppelpunkt vom 29.10.2019.
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Doppelpunkt Was steckt hinter den Farben der LGBTIQ-Bewegung?

Schwule, Lesben, Transmenschen, Asexuelle und so weiter: Die LGBTIQ-Bewegung mit ihren Buchstaben und Farben ist vielseitig aber für viele Menschen verwirrend. Doch hinter den Farben und Buchstaben steckt etwas.

Wer kennt schon alle Buchstaben der sogenannten LGBTIQ-Bewegung? Die wenigsten. Vor allem, weil scheinbar ständig neue dazukommen. Da ist es schwierig, am Ball zu bleiben.

LGBTIQ – wichtige Begriffe

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  • Lesbisch / Schwul (Gay): Frauen bzw. Männer, die sich zum ihrem eigenen Geschlecht hingezogen fühlen.
  • Bisexuell: Menschen, die sich sowohl zu Männern als auch zu Frauen hingezogen fühlen.
  • Trans: Menschen, deren Geschlecht nicht mit dem bei der Geburt eingetragenen übereinstimmt.
  • Intergeschlechtlichkeit: Körper von intersexuellen Menschen weisen eine Kombination aus weiblichen und männlichen Geschlechtsteilen auf. Die Ausprägung kann variieren. Das binäre Geschlechtersystem mit Mann und Frau kann sie nicht klar einordnen.
  • Queer: Ist ein englischer Begriff, der alles meint, was nicht heterosexuell ist. Früher wurde dies auch als Schimpfwort für Menschen benutzt, die z.B. geschlechtlich oder sexuell aus dem Rahmen fielen. Heute wird queer von der LGBTIQ-Gemeinschaft positiv konnotiert.

Weitere Begriffe:

  • Asexualität: beinhaltet das komplette oder teilweise Ausbleiben eines Sexualtriebs oder sexueller Anziehung zu anderen.
  • Aromantik: das teilweise oder vollständige Ausbleiben von romantischen Gefühlen gegenüber anderen Menschen. Es sind auch hier verschiedene Formen möglich.
  • Nonbinär: Menschen, die sich durch die klaren Grenzen von Mann bzw. Frau nicht repräsentiert sehen.
  • Pansexuell: Menschen, die sich zu allen Geschlechtern hingezogen fühlen, nicht nur zu Mann und/oder Frau, sondern beispielsweise auch zu Transmenschen oder Nonbinären.
  • Transmann / Transfrau: Kinder, die bei der Geburt aufgrund ihrer Körpermerkmale als Mädchen eingetragen werden, sich aber (meist ab Beginn der Erinnerung) als Junge sehen, nennt man Transmänner. Umgekehrt handelt es sich um Transfrauen.
  • Cis-Gender: Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie äusserlich betrachtet geboren wurden.
  • Heteronormativität: Weltanschauung, die Heterosexualität sowie eine binäre Geschlechterordnung als soziale Norm postuliert. Das anatomische, bei Geburt zugeordnete Geschlecht wird mit Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung gleichgesetzt, während andere Aspekte der menschlichen Sexualität als "unnormal" betrachtet werden.
  • Transvestit: Person, die im privaten oder öffentlichen Raum Kleider des anderen Geschlechts trägt. Dies muss aber nicht temporär sein. Eher eine Präferenz als eine Geschlechtsidentität.

Eine wichtige Erkenntnis hilft dabei: Sexualität und Identität sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Welche Geschlechtsidentität oder welches Geschlecht eine Person hat, hat nichts mit der sexuellen Ausrichtung der Person zu tun. Die sexuelle Orientierung und das eigene Geschlecht, das sind zwei verschiedene Dinge.

Das Familientreffen – die Party

Sichtbar wird die sogenannt Queere-Community vor allem bei ihrem grössten Zusammentreffen im Juni, dem Zürich Pride Festival. Der Anlass, der aus dem Christopher Street Day (CSD) hervorging, ist Familientreffen, gigantische Freiluftparty und politische Demonstration in einem.

Sein Ursprung ist aber alles andere als fröhlich. Denn erst Krawalle in der Christopher Street in New York, entstanden in der Schwulenbar «Stonewall-Inn» gaben 1969 der Bewegung den richtigen Anstoss.

Am Anfang war der Stonewall-Aufstand

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New York im Jahr 1969. In den meisten US-Bundesstaaten gilt alles als Sodomie, was nicht heterosexuell ist. Theoretisch dürfen Menschen, die nicht diesem Schema entsprechen zwar Alkohol in New Yorker Bars kaufen, gemeinsames Tanzen, Küsse oder näherer Körperkontakt gelten aber als «dissorderly conduct», als ungebührliches Verhalten. Bars können ihre Ausschank-Lizenz verlieren, wenn sie solchen Leuten Alkohol verkaufen.

Deshalb betreibt die New Yorker Mafia auch Schwulenbars wie das «Stonewall-Inn» in der Christopher Street. Die Transmenschen, Schwulen und Lesben – meistens People of Color also z.B. Afroamerikanerinnen und Latinos – haben fast keine eigenen Treffpunkte. Sie beschweren sich also nicht laut über die dreckigen Gläser oder den zu horrenden Preisen verkauften, gepanschten Alkohol. Trotz Schmiergeld wird das Stonewall-In regelmässig bei Razzien durchsucht.

Doch die Gewalttätigkeit der Polizisten stösst am 28. Juni 1969 zum ersten Mal auf echten Wiederstand. Die Polizisten sind plötzlich in der Bar eingekesselt, während sich draussen auf der Christopher Street immer mehr wütende und gewaltbereite Menschen sammeln. Die beiden Transfrauen Sylvia Riveira und Marsha P. Johnson sind massgeblich an der Entstehung des Aufstandes beteiligt.

Es kommt zu gewalttätigen Strassenschlachten und Protestmärschen. Der Stonewall-Aufstand gilt daher als Beginn der modernen LGBTIQ-Bewegung. Wobei gesagt werden muss: die Interessen aller anderen Gruppen traten schnell in den Hintergrund. Sexismus, die Rechte von Lesben, Rassismus und Transfeindlichkeit wurde erst viel später wieder ein Thema und steht auch heute noch im Schatten der Anliegen von homosexuellen Männern.

An der Pride treffen wir auch auf verschiedene Organisationen und Informationsstände. Unter anderem auf den der Milchjugend. Eine Jugendorganisation «von Jugendlichen für Jugendliche», sagt Generalsekretär Max Kranich. Die Milchjugend richtet sich an queere Jugendliche. Schwule, Lesben, Nonbinäre oder junge Transmenschen. Und an alle dazwischen. Unter anderem mit Anlässen, Treffen und einem Magazin.

Es gehe dabei um das Gemeinschaftsgefühl, sagt Kranich. Denn für viele Jugendliche, die sich anders fühlten, sei die Milchjugend mit ihren Anlässen und Treffen oft das erste Mal überhaupt, dass sie irgendwo dazugehörten.

Lou ist nonbinär

Teil der Milchjugend ist auch Lou (23).

Lou ist Nonbinär. Das heisst, Lou lehnt die klare Unterteilung von Geschlecht in Mann/Frau für sich ab.

Nonbinäre Menschen möchten in den meisten fällen weder als Frau noch als Mann angesprochen werden. Das heisst konkret, dass die Pronomen «Er» und «Sie» für Lou nicht zutreffen. Und deshalb wird Lou auch hier nicht als Er oder Sie vorgestellt.

Dazu sei natürlich niemand verfplichtet, meint Lou. Wenn jemand das aber nicht akzeptieren wolle, dann sei das Verhältnis zu dieser Person dann aber logischerweise eher kühl, sagt Lou. Immerhin anerkenne diese Person dann bewusst Lous Identität nicht an. Dabei geht es um eine wichtige Frage: Bin ich bereit, für das wohlbefinden anderer mein eigenes Verhalten zu ändern?

Die Regenbogenflagge

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Die bekannte Regenbogenflagge, in den 70ern designt vom US-Aktivisten und Armeeveteran Gilbert Baker.

Die Farbe Rot steht laut ihm für das Leben, Orange steht für Gesundheit, Gelb für das Sonnenlicht, Grün für die Natur, Königsblau für Harmonie und Violett für den Geist. Eigentlich hätte Baker noch die Farbe Pink für Sex vorgesehen, diese konnte in den 70ern aber nicht hergestellt werden. Später fügte er noch die Farben Türkis für Magie und Lavendel für Vielfalt hinzu.

Myshelle Baeriswyl ist trans

Myshelle Baeriswyl (57) ist Fachfrau für Transidentität, Psychologin und Sexualpädagogin. Sie hat selber mehrere Jahrzehnte in der Rolle eines Mannes gelebt. Mit Familie und Kindern.

«Ich versuche, den Menschen bei mir in der Sprechstunde eine positive Botschaft zu vermitteln. Man kann heute als Transperson in der Schweiz leben, es ist nicht dein Untergang. Es wird vielleicht schwierig, aber nicht dein Untergang.» Trotzdem sei der Prozess der Geschlechtsanpassung aufwändig. Dazu gehören viele Behördengänge, Papierkram, und die Abklärung durch die Psychiatrie, dass tatsächlich der sogenannte «Transsexualismus» vorliegt.

Ohne Diagnose können keine geschlechtsangleichenden Massnahmen wie Operationen vorgenommen werden. Denn bis 2020 listet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Transsexualität noch als psychische Krankheit. Die Änderung im Verzeichnis der WHO ist aber ein grosser Sieg für Transgender-Organisationen weltweit.

Gianna Ferrari ist demisexuell

Sex ist überall, vor allem in unseren Köpfen. Für Menschen wie Gianna Ferrari ist das aber eher unverständlich. Denn Asexualität bedeutet, sich nicht oder wenig auf sexuelle Weise zu anderen hingezogen zu fühlen.

Die Studentin und Aktivistin beschreibt sich selber als Teil des Asexuellen Spektrums. Auf der einen Seite gebe es also die sogenannten Allosexuellen (also die Mehrheit der Bevölkerung) und auf der anderen Seite die komplett asexuellen Menschen, also jene, die keine sexuelle Anziehung zu anderen spüren. Dazwischen, sagt sie, liege ganz viel. Zum Beispiel Demisexualität. Für Demisexuelle wie Gianna Ferrari kann sexuelle Anziehung erst bei einer starken emotionalen Bindung entstehen.

Neben dem asexuellen Spektrum existiert auch noch das aromantische Spektrum. Bei Aromantik verhält es sich ähnlich wie bei Asexualität, nur geht es dabei um romantische Gefühle.

Von der Norm abweichen – aber was ist die Norm?

Die Gesellschaft definiere sich immer wieder neu, sagt Silvia Müri. Sie studierte Geschlechterforschung und Kulturanthropologie und arbeitete als Sozialarbeiterin.

Ich finde es einfach lustig, dass Leute das Gefühl haben, es gäbe einfach eine fixe Vorstellung von Menschsein. Dabei sehen sie nicht, dass wir als Gesellschaft kontinuierlich unser Bild von Normalität anpassen.
Autor: Silvia Müri Sozialarbeiterin und Aktivistin

Es habe zum Beispiel in der Wissenschaft immer schon Leute gegeben, die in die Sexualität und Geschlechter näher erforschen wollten, sie erhielten einfach kein Geld. «Erst ab 1990, als die WHO Homosexualität nicht mehr als geistige Krankheit verzeichnete, wurden auch vermehrt Forschungsgelder gesprochen. Dadurch landeten sie im wissenschaftlichen Mainstream und die Erkenntnisse kamen durch die Medien zur Bevölkerung.»

So entstand Stück für Stück mehr Wissen und dadurch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung, und die politische und rechtliche Situation verbesserte sich. Dieser Prozess hält an und er sei auch schon immer in Gang gewesen, sagt Silvia Müri. «Wenn wir 100 Jahre zurückschauen, sehen wir, die Idee der Kleinfamilie, des Ernährers und die Rolle der Mutter, war damals eine andere als heute.»

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