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Frankfurter Buchmesse Die Wikinger kommen

Fjorde, Berge, Mitternachtssonne, menschliche Abgründe: Norwegische Literatur liegt im Trend. Das skandinavische Land ist Gastland an der Frankfurter Buchmesse – mit einer Literaturproduktion, die beeindruckt.

Es sind zahllose norwegische Titel, die dieses Jahr als deutsche Übersetzung erscheinen. Wäre das Wort nicht so schrecklich, man könnte von einem regelrechten Bombardement an norwegischen Büchern sprechen, welches der deutschsprachige Literaturmarkt derzeit erlebt.

Diese Bücher aus Norwegen sollten Sie kennen

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  • Henrik Ibsen: «Nora oder Ein Puppenheim» (Reclam)

    Der 1879 uraufgeführte Theaterklassiker des norwegischen Meisters Henrik Ibsen handelt vom Freiheitskampf einer Frau aus der Bevormundung durch das Patriarchat. In Zeiten von MeToo von neuer brennender Aktualität.

  • Knut Hamsun: «Hunger» (Claassen Verlag 2009)

    Das 1890 erschienene Werk des späteren Literatur-Nobelpreisträgers Knut Hamsun erzählt die Geschichte eines erfolglosen und von materieller Not getriebenen Dichters - ergreifend und eindringlich.

  • Roy Jacobsen: «Die Unsichtbaren» (C.H. Beck 2019)

    Die Romantrilogie des in Norwegen gefeierten Gegenwartsautors Roy Jacobsen rollt sprachlich brillant die norwegische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf – an einer Frauenfigur, die auf einer Schären-Insel in Nord-Norwegen lebt.

  • Maja Lunde: «Die Letzten Ihrer Art» (btb 2019)

    Im dritten Band der auf vier Bände angelegten Romanreihe über die Folgen des Klimawandels ergründet Maja Lunde literarisch die Folgen des Artensterbens. Erneut verknüpft sie geschickt emotionale Geschichten von Menschen mit der globalen Umweltproblematik.

  • Erika Fatland: «Die Grenze» (Suhrkamp 2019)

    Die Reiseschriftstellerin Erika Fatland erzählt von ihrem originellen Projekt, der ganzen Grenze Russlands entlang zu reisen: 20'000 Kilometer durch 14 Länder: China, Kasachstan, Georgien… Ein kenntnisreiches und kluges Buch über Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster kultureller Prägung.

  • Tomas Espedal: «Das Jahr» (Matthes & Seitz 2019)

    Das aktuelle Werk Tomas Espedals besticht durch seine poetische Sprache, mit welcher der Autor die uralte Frage nach der ewigen Liebe aufwirft und dabei den ganzen Fächer menschlicher Erfahrung öffnet: Verlust, Altern, Verzweiflung, Tod – und Heilung.

(Felix Münger, SRF-Literaturexperte)

Hunderte von Titeln

Bis zur Frankfurter Buchmesse (16. bis 20. Oktober) erscheinen rund 400 Titel. Keiner der grossen und auch bei uns populären Namen fehlt auf der langen Liste: Karl-Ove Knausgård, Jostein Gaarder, Jon Fosse, Linn Ullman, Tomas Espedal, Erik Fosnes Hansen, Roy Jacobsen, Maja Lunde, Jo Nesbø. Sie alle werden in Frankfurt auftreten – und ziemlich sicher das Publikum erreichen.

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Literarische Entdeckungstour durch Oslo
aus Kontext vom 02.10.2019. Bild: imago / Eibner
abspielen. Laufzeit 25 Minuten 2 Sekunden.

Der Boom der norwegischen Literatur, der bei uns Anfang der 1990er Jahre mit Jostein Gaarders Bestseller «Sofies Welt» einsetzte, kommt nicht von ungefähr. Da ist zunächst einmal die Natur, die in der norwegischen Literatur oft eine zentrale Rolle einnimmt. Norwegen ist mit seinen nicht einmal 5.5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nur dünn besiedelt. Die Beschreibung der unberührten Landschaft bedient bei Leserinnen und Lesern eine verbreitete Sehnsucht nach Ursprünglichkeit.

Nah am Menschen

Was den Erfolg auch begünstigt: Literatur aus Norwegen ist selten verkopft. Die Geschichten sind an anschaulichen Figuren erzählt. Die Psychologie wird durchdrungen. Dies stimmt für Hauptkommissar Harry Hole von Krimibestsellerautor Jo Nesbø ebenso, wie für die wortkargen Figuren Jon Fosses oder für Karl-Ove Knausgårds epische und narzisstische Selbstbetrachtung in seiner sechsbändigen und rund um den Globus als Literatursensation gefeierten Autobiographie.

Fast immer geht es in den Erfolgsromanen aus Norwegen zudem darum, die Wahrheit zu enthüllen. Wie können wir noch leben, wenn wir unseren Planeten zerstören? Diese Frage stellt etwa Maja Lunde in ihren Werken, in denen sie die Bedingungen des Mensch-Seins nach dem Klimawandel ergründet.

In der norwegischen Literatur geht es fast immer um das Grundsätzliche. Und dieses literarische Konzept entwickelt auf Leserinnen und Leser einen Sog, aus dem es kein Entrinnen gibt. Vorausgesetzt das Werk überzeugt auch sprachlich und formal.

Diese stoffliche Tiefe kann zur irrigen Meinung verleiten, Literatur aus Norwegen sei generell wortkarg und düster. Wie andere Literaturen spielt auch die norwegische auf der ganzen Klaviatur der Emotionen. Neben Mord und Düsternis haben auch Humor, Witz und ironische Brechung ihren festen Platz.

Literaturland Norwegen

Der Erfolg der norwegischen Literatur hängt nicht zuletzt auch mit den Bedingungen im Herkunftsland zusammen: Sie lassen erfolgreiche Literatur in so grosser Zahl überhaupt erst entstehen.

Dazu gehört zuerst einmal, dass man in Norwegen überdurchschnittlich viel liest. Dies mag mit den langen Abenden zu tun haben im Winterhalbjahr. Eine Tasse Tee und ein gutes Buch dazu gehören zu den beliebten Mitteln, die dunkle Jahreszeit zu überstehen. Und gerade Literatur, die in abgründige Welten entführt, bietet einen willkommenen Ausgleich für das dank dem Verkauf von Erdöl in der Regel materiell sorglose norwegische Volk.

Staatliche Literaturförderung

Hinzu kommt, dass der Staat massiv in den Literaturbetrieb investiert. Das Land hat sich per Gesetz ein hervorragendes Bibliothekssystem verordnet. Es stellt sicher, dass die Menschen auch in entlegenen Gebieten zu Neuerscheinungen Zugang haben.

Eine staatliche Behörde wählt zudem jährlich etwa 600 Neuerscheinungen aus, kauft je einige hundert Exemplare auf und teilt sie den öffentlichen Bibliotheken im gesamten Land zu. Durch diese Förderung gelangen auch unbekannte Schreibende zu einem Einkommen. Dieses ermöglicht es ihnen, weiterzuschreiben und sich zu entwickeln. Um vielleicht irgendwann den grossen Wurf zu landen. Und dann an der grössten Buchmesse der Welt in Frankfurt mit dabei zu sein.

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