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Namensforschung Familiennamen sind weit mehr als Schall

Namen wie «Streit», «Scherz» oder «Wichser» erregen oft ungewollt Anstoss oder Heiterkeit. Darunter leiden manche Betroffene. Obwohl ihre Namen vor Hunderten von Jahren entstanden sind und nichts mit ihrer Identität zu tun haben.

Urs Kliebenschädel litt so sehr unter seinem Namen, er bedeutet wörtlich «Spalt-den-Schädel», dass er sich offiziell umbennen liess auf seinen Künstlernamen «Kliby». Ein Herr Tschirky ereiferte sich im Internet derart über eine Forscherin, die seinen Namen vom hinkenden, schlurfenden Gang eines Vorfahren ableitete, dass er den Gang vor Gericht androhte. Die Beispiele zeigen: Am eigenen Namen hängt stets ein Stück Identität. Und die wünscht man sich nun mal unbefleckt und unbescholten.

Vom Rufnamen zum Familiennamen

Dabei ist die Diskussion eigentlich unnötig. Unsere Familiennamen entstanden im späten Mittelalter, also vor 600 bis 800 Jahren. Heutige Namensträger haben also nichts mehr mit dem ursprünglichen Benennungsmotiv zu tun. Damals gab es dank dem Bevölkerungswachstum immer mehr Menschen mit dem gleichen Rufnamen. Abhilfe schufen Beinamen, welche eine Person aufgrund bestimmter Merkmale charakterisierten, in Basel zum Beispiel «Hugo von Ramstein», «Hermann miles» (also «Hermann der Ritter»), «Kuonrad der Pfaffe» oder «Johannes der Lange». Zunächst auf eine einzelne Person beschränkt, wurden solche Beinamen mit der Zeit auf die ganze Sippe übertragen. So wurden «Ramstein(er)», «Ritter», «Pfaff» oder «Lang» nach und nach zu festen Familiennamen.

Alle Familiennamen gehen auf fünf Namenmotive zurück

Alle so entstandenen Familiennamen gehen auf nur fünf verschiedene Bedeutungsmotive zurück:

  • Vater- oder Mutternamen (Familiennamen wie «Peter», «Elsener» zu Elsa, «Lutz» zu Ludwig)
  • Herkunftsnamen, meistens für einen Zuzüger aus einem anderen Ort (Familiennamen wie «Basler», «Appenzeller» oder «Zolliker»),
  • Wohnstättennamen, die auf einen Hof- oder Flurnamen innerhalb des Wohnorts zurückgehen (Familiennamen wie «Stutz» oder «Amstutz», «Studer» oder «Imobersteg»)
  • Berufsbezeichnungen oder Tätigkeiten (Familiennamen wie «Jäger» oder «Gerber», auch Ämter wie «Sigrist» oder «Ammann»)
  • Körperliche oder geistige Eigenschaften (Familiennamen wie «Streit», «Feissli», «Witzig» oder «Knie»).

Unverdächtiges klingt plötzlich anstössig

Es sind vor allem Namen der letzten Kategorie, die aus heutiger Sicht unangenehme Assoziationen wecken können. Dass der Glarner Familienname «Wichser» einst ein unverdächtiger Berufsname war, wahrscheinlich eine Nebenform zu «Wechsler» für jemanden, der Geld wechselte, nützt wenig, wenn heute bei dem Namen spontan etwas Anstössiges anklingt. Der sprachliche und gesellschaftliche Wandel nimmt keine Rücksichten auf solche Empfindlichkeiten.

Die Einnamigkeit ist eine moderne Illusion

Dabei hat jede und jeder von uns gar nicht nur einen einzigen Namen. Denn je nach sozialem Umfeld wird man unterschiedlich angesprochen. Mit dem Vornamen Markus wurde ich in der Familie oder unter Freunden schon als «Mex», «Megge», «Märki», «Kussi» oder «Küssel» bezeichnet. Auch beim Nachnamen bekam ich kreative Varianten zu hören wie «Gassi», «Gasserli» oder anglisiert «Gässmän». Im Heimatdorf gehöre ich zur Sippe «s Christiane». Auf den Beruf bezogen heisst es gelegentlich «dr Mundartpapst». Das zeigt: Die Einnamigkeit in unserer Gesellschaft ist eine Illusion. Wir haben verschiedene Namen, die sehr unterschiedliche Gefühle und Assoziationen in uns wecken. Der Familienname spielt oft nur im Umgang mit Ämtern und Formularen eine Rolle.

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