Menschen sind Gewohnheitstiere. Wir bereisen immer dieselben Regionen. Durch den Rest des Landes flitzen wir hindurch, nur das Ziel vor Augen.
Doch was passiert, wenn man Postleitzahlen würfelt – und dort hinreist? Spannende Geschichten gibt es überall. Heute nehmen wir die Ausfahrt nach Härkingen, Bad Zurzach, Egg und Orselina.
Ein Erfahrungsbericht über eine Reise, die so wohl niemand geplant hätte.
4624 Härkingen – die quakende grüne Oase
Woran denken Sie, wenn Sie Härkingen hören? An Staumeldungen? Unser Versprechen: Wenn Sie in Zukunft auf der A1 vorbeifahren, werden Sie an Frösche denken – und an Ursula Oegerli!
Wir treffen sie im Garten ihres Hauses. Idyllisch sieht es aus. Gemütlich wäre es. Doch statt Vogelgezwitscher hören wir einen konstanten Lärmpegel. Das Grundstück liegt direkt an der Autobahn.
Zwischen Stau und Stillleben
-
Bild 1 von 8. Lärmschutz in Eigenregie. Weil der Verkehrslärm zu laut wurde, liess Ursula Oegerli eine eigene Wand errichten – direkt neben der bestehenden, zu kurzen Schutzmauer. Bildquelle: SRF / Lars Epting.
-
Bild 2 von 8. Ein Haus neben der Autobahn. Nur wenige Meter von der A1 entfernt lebt Ursula Oegerli seit 1978. Durchs Fenster blickt sie direkt auf die Lärmschutzwand. Ruhe? Nur bedingt. Trotzdem ist sie geblieben: «Härkingen ist schön», sagt sie. Bildquelle: SRF / Lars Epting.
-
Bild 3 von 8. Nicht nur Autobahn, sondern überall Frösche. Härkingen ist das Dorf der «Frösche». Es gibt hier einen Fröschenbrunnen, einen Fröschensaal oder auch eine Fröschengasse. Ja selbst die Bewohner nennen sich selbst «Frösche». Bildquelle: SRF / Lars Epting.
-
Bild 4 von 8. Doch weshalb? Die Ur-Härkinger Franz Jäggi und Arthur Oegerli wissen, dass die Region früher, bevor man Flüsse kanalisierte, regelmässig überschwemmt wurde. Es muss ein Paradies für die Amphibien gewesen sein. Bildquelle: SRF / Lars Epting.
-
Bild 5 von 8. Auf den Spitznamen ist man stolz. Vergangenen Sommer gründeten Roman Fröhlich und Daniel Gygax den Cornhole Verein Härkingen. Ihr Vereinslogo? Ein Frosch! Logsich. Bildquelle: SRF / Lars Epting.
-
Bild 6 von 8. Weihnachtsstimmung mitten im Sommer. Grün wie ein Frosch ist es auch auf der Plantage von Pädu Wyss. Er zeigt Adi Küpfer seine rund 10’000 Tannenbäume. Er zählt zu den grössten Christbaumproduzenten der Schweiz. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 7 von 8. Ein Hotel im ehemaligen Gewächshaus. In der alten Gärtnerei von Ernst und Rita Studer wurde das Gärtnern vor über zehn Jahren eingestellt – heute übernachten hier Gäste im Treibhaus. Bildquelle: SRF / Lars Epting.
-
Bild 8 von 8. Das Quaken zurückholen. Margot Leuenberger und Peter Jäggi vom Natur- und Vogelschutzverein erzählen Adi Küpfer, wie sie hier neue Lebensräume für Amphibien schaffen wollen – besonders für die Kreuzkröte und den «Glögglifrosch». Bildquelle: SRF / Lars Epting.
Vor 40 Jahren war der Verkehr noch harmlos. «Auf dem Pannenstreifen konnten wir in die Raststätte spazieren und einen Kaffee trinken», erinnert sich die 78-jährige. «Heute schlafen wir im Keller.» Wegziehen sei trotzdem nie eine Option gewesen. «Härkingen ist schön. Mir gefällt die Natur hier und im Wald, da ist es ruhig.»
Es sei denn, es quakt ein Frosch. Härkingen ist nämlich das Dorf der Frösche. Jedes Jahr gibt es hier ein Fröschefest. Das Lokalblatt heisst Fröschenpost. Ja selbst die Bewohner nennen sich Frösche. Der Name kommt nicht von ungefähr. «Früher ist die Region regelmässig überschwemmt gewesen. Da hat es hier von Fröschen gewimmelt», erzählt uns der alteingesessene Härkinger Arthur Oegerli.
«Von meinem Nachbarn aus Kindheitstagen weiss ich, dass er Froschschenkel verkauft hat.» Scheinbar wurden sie im Dorflokal auch aufgetischt – im Bierteig. «Doch mit der Korrektur der Gewässer, sind die Amphibien aus dem Dorf verschwunden.» Das war vor über 80 Jahren.
Grün ist Härkingen aber trotzdem noch. Am Ende des Dorfes spazieren wir durch ein Meer von Tannenbäumchen. Ihre Triebe sind noch ganz jung, sie leuchten hellgrün. Es bimmeln Schafglocken. Und obwohl es Hochsommer ist, denkt man hier schon an Weihnachten.
«Gut möglich, dass Sie im Advent einen Christbaum aus Härkingen kaufen», schmunzelt Pädu Wyss. Der Landwirt führt uns über seine Plantage. 10'000 Pflanzen produziert er pro Jahr. «Jetzt muss ich sie in Form bringen, sonst kauft sie dann niemand.» Die Leute hätten immer das Gefühl, im Sommer habe er nur Ferien.
Apropos Ferien: Im Dorfzentrum versprüht die alte Gärtnerei ein fast mediterranes Flair. Die Treibhäuser wurden zu einem Hotel umgebaut. Während unweit von uns Autos und Lastwagen über die A1 kriechen, gönnen wir uns zum Abschluss unserer ersten Etappe ein Getränk unter Olivenbäumen – und geniessen die Ruhe. In Härkingen.
5330 Bad Zurzach – ein Pilgerort für Drachenfreunde
Woran denken Sie, wenn Sie Bad Zurzach hören? Ziemlich sicher an das Bad, oder? Das heisse Wasser ist heutzutage der populärste Grund, weshalb Gäste den Kurort am Rhein besuchen.
«Dabei war das alles eigentlich nur ein Zufall!», sagt Lokalhistoriker Alfred Hidber. Wir treffen ihn in einem alten hölzernen Bohrturm. «Hier wurde früher Salz gefördert. Doch dann, 1914, spritzte plötzlich Wasser aus dem Loch!». Yippie!? «Nein. Das Bohrloch hat man wieder zugeschüttet.»
Mehr als bloss ein Thermalbad
-
Bild 1 von 9. Die Geschichte der Therme. Beim Bohren nach Salz stiess man 1914 auf das heisse Thermalwasser. Etliche Bohrtürme stehen noch in Bad Zurzach. Ein Thermalbad baute man aber erst nach 1955. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 2 von 9. Es rattert und knattert noch heute. Aber nur noch im Museum. In einem Bohrturm lauscht Adi Küpfer den Geräuschen der ehemaligen Salzpumpen, zusammen mit Historiker Alfred Hidber. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 3 von 9. Die Reise nach Bad Zurzach. Ist auch per Wasserweg aus Deutschland her möglich! Die alte Gierseilfähre quert den Rhein zwischen Kadelburg und dem Schweizer Ufer. Moderator Adrian Küpfer lässt sich von Fährimann Stefan Indermühle ins Sendegebiet chauffieren. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 4 von 9. Ein Hauch Provence im Aargau. Vor dem Wahrzeichen in Bad Zurzach, dem ehemaligen Turmhotel, wähnt man sich in Südfrankreich. Petanque Spieler beim Boulodrome. Bildquelle: SRF/ Fabio Flepp.
-
Bild 5 von 9. Gruselig oder mystisch? Im neuen Drachenmuseum Dracolorium kommen Drachen- und Fantasyfans auf ihre Kosten. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 6 von 9. Die Herrin der Drachen. Barbara Brosowski ist der kreative Kopf, ihr Ehemann Roman erweckt sie zum Leben. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 7 von 9. Die heilige Verena. Sie erweckt heute niemanden mehr, soll aber zu Lebzeiten Menschen geheilt haben. Sie liegt in der Krypta des Münsters im Zentrum Bad Zurzach. Schon vor über 1000 Jahren pilgerten Gläubige ihretwegen nach Zurzach. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 8 von 9. Das WEF des Mittelalters. Zurzach entwickelte sich ihretwegen zu einem der angesagtesten Messe- und später Marktorte der Schweiz. Alle, die etwas auf sich hielten, feierten und handelten damals an der Zurzacher Messe. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 9 von 9. Radio mit Aussicht. Vom Dach des 62 Meter hohen Turms sieht man nicht nur das Thermalbad, sondern über den ganzen «Flecken». Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
Der erste Weltkrieg brach aus. Die Zeiten waren ungünstig. Erst 1955 begann die Ära als Kurort. Der damalige Landarzt erschloss die Quelle erneut. «Bad Zurzach ist heute also berühmt für das Nebenprodukt, das anfangs eigentlich niemand wollte.»
Ein «place to be» sei Zurzach aber schon immer gewesen. Es war ein Pilgerort. Der Grund: Zurzachs berühmteste Frau, die heilige Verena. Wir besuchen ihr Grab in der Krypta des Münsters.
Ausgehend vom Pilgertum entwickelte sich Zurzach im Mittelalter zu einem der schweizweit wichtigsten Marktflecken. «Halb Europa pilgerte im Mittelalter für die Zurzacher Messe zu uns», weiss Historiker Hidber. Es muss eine riesige Gaudi gewesen sein. «Es war quasi das World Economic Forum von damals.»
Ein Pilgerort ist Bad Zurzach auch heute noch. Unter anderem für Fantasyfans. In einer alten Industriehalle tauchen wir in eine faszinierende, wenn auch leicht gruselige, Parallelwelt ein. Aus dem Dunkeln ertönt eine tiefe Stimme: «Was willst du von uns Drachen, kleiner Mensch?»
Wir sind im Drachenmuseum. Skulpturen stehen vor uns. Ihre Augen leuchten. Die Wesen sind die Werke der Künstlerin Barbara Brosowski. Schon als Kind hätten sie Fabelwesen fasziniert. «Aber ich wollte meine eigenen Kreaturen bauen.»
Vor 10 Jahren habe sie erstmals einen Drachenkopf in die Hauptgasse Zurzachs gehängt. «Die Leute waren begeistert, machten Fotos», erinnert sie sich. Später bespielte sie einen Kreisel. Es wurden immer mehr Drachen. Nun endlich hätten «ihre Kinder» ein Zuhause: das Dracolorium.
Zurück an der frischen Luft folgt die nächste Überraschung. Wir spazieren in Richtung Therme und wähnen uns plötzlich in der Provence. «Nous souhaitons un bon match» lesen wir an einer Wand.
Auf mehreren Bahnen frönt man hier dem Boule-Sport. «Während Volksturnieren spielen hier sogar 350 Personen gleichzeitig», erzählt uns Bernhard Erne. «Pétanque ist mehr als ‹Chugle in Dreck rüere›. Es ist Technik, Taktik und Teambuilding.»
«Mr. Boule», wie sie ihn hier nennen, hat über 1000 Sets Kugeln. Er verkauft sie, möchte die Leidenschaft weitergeben. «Ich habe einen Online-Shop. Aber jeweils am Samstag mache ich auch eine Sprechstunde. Die Leute kommen nach Zurzi und wir finden gemeinsam die passende Kugel». Es gibt diverse Gründe, nach Bad Zurzach zu pilgern.
9231 Egg (Flawil) – ein kleiner Weiler voller Rekorde
«Kikeriki!» weckt uns der Güggel. Nichts Aussergewöhnliches auf dem Land, oder? Doch! Die 180 Personen hier, und wir für eine Nacht, sind privilegiert. Wir werden von Mr. Schweiz himself geweckt. Joggeli, der stolze Hahn, ist hochoffiziell der schönste seiner Rasse.
«Die Kriterien haben gepasst, darum wurde er Schweizermeister», erzählt uns seine Besitzerin Myrtha Fitze bescheiden. Doch so ganz zufällig scheint uns diese Auszeichnung nicht. Oder wie war das nochmals? War da zuerst das Huhn oder das Ei? Fakt ist: Züchterin Fitze hat vergangenes Jahr auch den Titel für die schönsten Bruteier gewonnen.
Ein Ort voller Rekorde
-
Bild 1 von 12. Egg bei Flawil. Soviel vorneweg: Die Dichte an Schweizermeisterinnen und Titelhaltern in diesem beschaulichen Weiler im Kanton St. Gallen hat uns beeindruckt. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 2 von 12. Mr. Schweiz weckt die Schweiz. Oder zumindest die Bewohner und Bewohnerinnen von Egg. Dieser Hahn und eine Henne von Myrtha Fitze wurden als die schönsten des Landes ausgezeichnet. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 3 von 12. Am Stammtisch am Montagmorgen. Während anderswo die Woche beginnt, wird auf der Egg musiziert, getrunken und geredet – aus dem «Hirschen» bei Wirtin Ruth di Roma. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 4 von 12. Weiler mit Aussicht. Wer hier oben wohnt, braucht kein Postkartenmotiv mehr. Egg liegt auf einer Anhöhe über Flawil – mit Sicht bis zum Bodensee und dem Gefühl, dass die Welt für einen Moment stillsteht. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 5 von 12. Auch Miss Schweiz lebt auf der Egg! Adi Küpfer und Baileys scheinen sich bestens zu verstehen. Die Haflingerstute wurde 2021 zur schönsten des Landes erkoren. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 6 von 12. Reitend Radio machen. Adi Küpfer entdeckt Egg hoch zu Ross – auf der preisgekrönten Haflingerstute Baileys. Daneben: Züchterin Jeannette Fitze. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 7 von 12. Ein Mann, ein Deckel-Traum. Adi Küpfer (links) zu Besuch bei Bernhard Büsser – dem Kronkorken-König von Egg. Über 85'000 Exemplare hat er, fein säuberlich sortiert. Schweizerrekord! Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 8 von 12. Bunt, rund, weltweit gesammelt. Jeder dieser Kronkorken erzählt eine kleine Geschichte – von Brauereien, Reisen und Begegnungen. Bernhard Büsser hat Exemplare aus 189 verschiedenen Ländern. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 9 von 12. Romy Zuberbühler zeigt, wie’s geht. Mit 14 Jahren ist sie Vize-Schweizermeisterin im Handmähen – und macht vor, wie kraftvoll und präzise das geht. Bildquelle: Fabio Flepp.
-
Bild 10 von 12. «Dort habe ich Skifahren gelernt». Skirennfahrerin Aline Höpli steht auf «ihrem» Hoger. Mit zwei Jahren fuhr sie hier los. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 11 von 12. Die Wyssbachschlucht. Unterhalb der Egg versteckt sich ein Naturjuwel – wild, schattig, geheimnisvoll. Die Schlucht markiert die Grenze zum Kanton Appenzell Ausserrhoden und liefert seit über 100 Jahren Strom. Die «Böttere» locken zum Hineinspringen, die Holztreppen zur Fitnessprobe. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 12 von 12. Volksmusik mit Aussicht. Übrigens: Als Wirt Valerio di Roma erfuhr, dass wir auf die Egg kommen wird, da hat er kurzerhand sein Quartett aufgeboten. Er selbst spielt Schlagzeug. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
«Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist am schönsten auf der Egg?» Dieser «Reim» begleitet uns auf unserer Entdeckungstour. Güggel Joggeli muss den Titel hier nämlich teilen. Auch eine Miss Schweiz lebt auf der Egg: Baileys. Die wunderschöne Blondine wurde 2021 zur schönsten Haflingerstute des Landes gekürt.
Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus: Die Eggauer, sie scheinen Erfolgsverwöhnt zu sein. Auf einer Wiese treffen wir die 14-jährige Romy Zuberbühler. Zusammen mit ihrem Vater wetzt sie gerade ihre «Sägess», die Sense. «Damit sie dann auch schön haut». Wieso wir diese Anekdote erzählen? Romy mäht nicht nur zum Spass. Vergangenen Sommer wurde sie Vize-Schweizermeisterin im Handmähen.
Zum Schluss unserer Entdeckungstour treffen wir dann noch einen, der keine Konkurrenz zu fürchten hat: Bernhard Büsser. Er ist bereits Schweizermeister – im übertragenen Sinn. Er besitzt die grösste Kronkorkensammlung der Schweiz. «Es sind exakt 85'321 Stück». Feinsäuberlich sind die Blechstücke nach Ländern und Marken sortiert – in Vitrinen, Schubladen und Kisten.
«Vor rund 20 Jahren habe ich auf einer abenteuerlichen Reise durch Afrika meinen ersten als Andenken mitgenommen.» Dann hat ihn das Sammelfieber gepackt. Mittlerweile besitzt er Deckel aus 189 verschiedenen Ländern. «Nur noch sechs fehlen mir, zum Beispiel Tuvalu, Palau oder der Vatikan».
Sollten Sie sich diesen Sommer per Zufall an einem dieser Orte ein Bier gönnen... Sie wissen, wo sie den Sammler finden: auf der Egg.
6644 Orselina – ein Kraftort zwischen Yoga, Panettone und Mönchen
«Oh schön!» Fast unisono war das die Reaktion, als wir erzählten, dass wir «6644 Orselina» erwürfelt haben. Das Dorf hoch über Locarno löst bei vielen Erinnerungen an Ferien im Tessin aus.
Doch wie ist es, dort zu leben? 699 Einwohner und Einwohnerinnen zählt die Gemeinde. Die Hälfte der Menschen ist älter als 61. Zwei Drittel der Gebäude sind Zweitwohnungen.
«Oh schön» entfährt es uns erneut, als wir in Orselina ankommen. Dieser Weitblick! Doch wo können wir Einheimische treffen? Eine typische Piazza gibt es in Orselina nicht. Auch gibt es keine Bar. Überall geht es nur rauf oder runter. «Geht zu Inka!», meinte die Gemeindepräsidentin am Telefon.
Leben in der Sonnenstube
-
Bild 1 von 7. Heiliger Berg und Wahrzeichen. Die Wallfahrtskirche Madonna del Sasso auf dem Felsen vor Orselina sieht man von weit her. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 2 von 7. Kitschiger gehts fast nicht. Orselina sei ein Kraft- und Energieort. Bei dieser Panoramaaussicht über den Lago Maggiore, kein Wunder. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 3 von 7. Ein Mönch in Orselina. Bruder Mauro Jöhri war einst der weltweit höchste Kapuziner im Vatikan. 2018 entschied er sich, als einfacher Mönch nach Orselina zurückzukehren. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 4 von 7. Die Königsdisziplin der Backkunst. Ein Panettone muss beim Auskühlen hängen, sonst würde er in sich zusammenfallen, weiss Bäcker Yvan Cecchettin. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 5 von 7. Negozio da Inka. Der Dorfladen von Orselina ist der einzig verbliebene in den Hügeln Locarnos. Jeden Abend trifft man sich hier am «tavolino dalle cinque» zum Aperitivo. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp .
-
Bild 6 von 7. Yoga im Park . Elena Salvioni aus Orselina bietet Yogaunterricht an. Gratis. Manche Teilnehmerin bedankt sich bei ihr mit frischem Gemüse aus dem Garten. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
-
Bild 7 von 7. Ort des Friedens. In grossen leuchtenden Lettern stand 1925 PAX auf der Madonna del Sasso. In und um Locarno fanden nach dem Ersten Weltkrieg Friedensverhandlungen statt. Bildquelle: SRF / Fabio Flepp.
Die «Alimentari da Inka» ist das einzige verbliebene Lebensmittelgeschäft in den Bergdörfern ob Locarno. Der Laden existiert seit 75 Jahren. Doch Geschäftsführerin Inka Tripkovic hat ihm neues Leben eingehaucht. Täglich ab fünf Uhr trifft man sich hier zum «tavolino dalle cinque».
Zwei Stehtischchen vor dem Dorflädeli sind heute der inoffizielle Stammtisch Orselinas. «Es ist wie früher. Man kommt hierher für einen Schwatz, für einen Lebensmoment», erzählt uns Oliviero Giovannoni, den wir hier antreffen.
Auch könne man bei «Inka» alles kaufen. Ausser vielleicht Panettone. Für den fahren wir ans andere Ende von Orselina. Dorfbäcker Yvan Cecchettin nennt es die Königsdisziplin. «Backen an sich ist ja keine Hexerei. Aber ein Panettone dauert rund 44 Stunden», erzählt er, «es ist ein Süssgebäck, aber aus Sauerteig. Er braucht viel Pflege, selbst nach dem Backen.»
Es ist ein witziger Anblick für uns Laien. Alle fertig gebackenen Panettoni hängt Yvan Cecchettin erstmal kopfüber auf. «Die müssen so auskühlen. Sonst würden sie wie ein Soufflé in sich zusammenfallen.» Touristen würden Panettone das ganze Jahr über kaufen. Die Tessiner nur im Advent. Für spezielle Anlässe liefert die Dorfbäckerei auch ins Kloster.
Auf Madonna del Sasso leben sechs Kapuzinermönche. Einer von ihnen ist Bruder Mauro Jöhri. 12 Jahre lang diente er in Rom. Er war der weltweit höchste Kapuziner und leitete den Orden. Dann, 2018, entschied sich der Bündner als einfacher Mönch ins Tessin zurückzukehren.
«Ich war hier bereits als junger Mönch. Für mich war klar, dass ich eines Tages zurückkehren würde», erzählt er uns auf dem Balkon der Kirche. Jeden morgen um sechs Uhr komme er hierher. «Diese Aussicht ist einmalig. Egal welche Witterung herrscht, sie öffnet dir das Herz und du gehst offen in den Tag.»
Und wie ist es für ihn, dass die meisten Gäste heute keine Pilger mehr sind, sondern Touristen? Und quasi vor seinem Wohnzimmer Gelati schlecken und Selfie knipsen? «Der Ort ist für alle da. Ich unterscheide da nicht. Es sind Mitmenschen. Es ist spannend mit ihnen ins Gespräch zu kommen.»
«Dürfen wir zum Abschluss also auch noch ein Selfie machen?» «Ja, klar!». Pace e bene.