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Thomas Meyer, Trennungscoach: «Liebe ist kein Grund, mit jemandem zusammen zu sein»
Aus Gast am Mittag vom 20.05.2024. Bild: Thomas Meyer
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Sich trennen, aber wie? Trennungscoach Thomas Meyer: «Trennung hat ein schlechtes Image»

Thomas Meyer ist Journalist, Buchautor und Trennungscoach. Der Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters weiss, weshalb viele sich von einer Beziehung trennen möchten und es dennoch nicht können.

Thomas Meyer

Trennungscoach

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Thomas Meyer lebt in Zürich und ist Vater eines Kindes. Der Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters hat sein Studium in Jurisprudenz an der Universität Zürich abgebrochen und arbeitete als Werbetexter und Journalist. 2007 machte der 50-Jährige sich als Autor und Texter selbstständig. 2012 erschien Meyers Debütroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse». Der Roman, der von den Liebesnöten eines jungen orthodoxen Juden handelt und Deutsch mit Jiddisch kombiniert, war 2012 für den Schweizer Buchpreis nominiert. Im Sommer 2017 wurde das Buch verfilmt. Das Schreiben brachte Thomas Meyer auch zu seinem Job als Trennungscoach.

 

SRF: Fällt es Ihnen schwerer, sich von Sachen oder von Menschen zu trennen?

Thomas Meyer: Das ist eine schöne Frage. Es fällt mir beides schwer. Beides ist mit Gefühlen verbunden.

Sie haben sich in jungen Jahren von Ihrer ersten Freundin getrennt, weil eine andere Frau im Spiel war. Was würden Sie ihrem damaligen «Ich» mit der Erfahrung von heute raten?

Heute weiss ich, wenn man für jemanden so offen ist, dass man sofort mit der Person ins Bett möchte und es auch tut, dann hat man sich schon sehr fest von seiner Beziehung gelöst. Dann ist schon viel Distanz entstanden. Das Entstehen dieser Distanz sollte man aus heutigen Sicht mit dem Partner teilen. Und das möglichst frühzeitig.

Trennung hat ein schlechtes Image. Sie wird gleichgesetzt mit Scheitern, Schmerz, Scham und Schande.

Das Wort Trennungscoach tönt für mich eher negativ. Man schaut, dass sich Menschen trennen. Wie muss ich mir das vorstellen? Wie sieht ihr Job aus?

Das ist eine Bezeichnung, die ich gesucht habe, um dieser Tätigkeit, die mir zugeflogen ist, einen Namen zu geben. Nachdem vor sieben Jahren mein Buch «Trennt euch!» erschienen ist, bekam ich sehr viele E-Mails. Hauptsächlich von Frauen, die das Buch gelesen und Rat gesucht haben. Das nahm irgendwann ein Ausmass an, dass ich genötigt wurde, dem einen Rahmen und einen Namen zu geben. Ich habe keine Ausbildung gemacht. Ich habe nach besten Kräften versucht, diesen Menschen, die in Not sind, zu helfen. Trennung hat ein schlechtes Image. Sie wird gleichgesetzt mit Scheitern, Schmerz, Scham und Schande. Das ist bereits das Problem. Menschen sind in Situationen, die ihnen nicht mehr guttun. Sie erwägen eine Trennung und schrecken gleichzeitig aus den genannten Gründen davor zurück.

Meine Haltung ist: Wenn es dir nicht mehr guttut und dich nicht mehr glücklich macht, hör auf damit.

Wie gehen Sie vor, wenn sich Menschen bei Ihnen melden?

Ich frage nach der Situation und wie sich diese verändern soll. Da kommt häufig eine grosse Ambivalenz zum Vorschein. Es gibt sehr viele Menschen, die in sehr schwierigen, destruktiven Beziehungen sind. Der Leidensdruck ist meist gross, weil oft auch Gewalt im Spiel ist. Man will den Leidensdruck loswerden und gleichzeitig keine Veränderung auf sich nehmen. Das ist mit Chaos und Ungewissheit verbunden. Ich versuche, mit den Menschen einen Weg zu finden, Bewegung hereinzubringen.

Was ist Ihr Tipp für solche Menschen?

Meine Haltung ist: Wenn es dir nicht mehr guttut und dich nicht mehr glücklich macht, hör auf damit. Ein Tipp ist sinnlos. Es gibt Gründe, weshalb man doch nicht aufbricht. Die Gründe liegen ganz tief in einem selber und haben mit Ängsten und Glaubenssätzen zu tun. Dann ist man blockiert und ich sehe meine Aufgabe darin, den Menschen beim Erkennen, was sie zurückhält, zu helfen.

Warum bleiben so viele Menschen trotzdem – sogar wenn Gewalt im Spiel ist?

Was ich häufig von jungen Frauen Anfang dreissig höre, ist: «Ich will noch Kinder und finde keinen anderen mehr.» Das hat dann nichts mit dieser Beziehung und diesem Mann zu tun, sondern mit der Art, wie man sich selber sieht.

Was ist ihr Rat in einem solchen Fall?

Ich verstehe mich nicht als jemanden, der alle Probleme lösen kann. In vielen Fällen geht es darum, dass jemand dringend eine Therapie macht und sich um seine Themen kümmert. Es geht um die Frage, wie gehe ich mit mir selber um, was erwarte ich vom Leben, was glaube ich verdient zu haben. Sehr viele Menschen kommen nicht auf die Idee, dass sie auch eine glückliche Beziehung haben dürfen.

Da hat ein grosser Wandel stattgefunden und trotzdem sind noch alte Überzeugungen da.

 Woran liegt das?

Unter anderem an unseren Eltern, die eine unglückliche Beziehung einfach ausgehalten haben. Unsere Kinder werden ganz anders damit umgehen. Mein Sohn weiss, dass eine Beziehung auch enden kann. Dass man jemanden anderes suchen kann, wo es besser passt. Oder, dass man auch alleine sein kann und auch das besser passt, als in einer unglücklichen Beziehung zu bleiben.

Weshalb hat sich das verändert?

Das hat sicher damit zu tun, dass Frauen wirtschaftlich bessere Chancen haben. Sie können arbeiten und arbeiten auch. In meiner Klasse gab es lediglich ein Mädchen und ein Junge, die eine berufstätige Mutter hatten. Das waren geschiedene Frauen und alle anderen waren Hausfrauen. Damals war die Bedingung zum Arbeiten noch eine Scheidung. Da hat ein grosser Wandel stattgefunden und trotzdem sind noch alte Überzeugungen da.

Das Gespräch führte Ranja Kamal.

«Gast am Mittag», 19.05.2024, 23:45 Uhr, Radio SRF 1 ; 

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