«Du bist nicht mein Papi, du hast mir nichts zu sagen!» Diesen Satz hört wohl jeder Stiefvater irgendeinmal. «Das tut am meisten weh», sagt Rafael. Rafael ist 46, Journalist und seit neun Jahren der Stiefvater des 13-jährigen Julian. Besonders jetzt, in der Pubertät, setzt er seinem Stiefsohn manchmal Grenzen. Dann, wenn er zu lange an der Spielkonsole sitzt oder wenn es Zeit ist fürs Bett.
‹Du bist nicht mein Papi, du hast mir nichts zu sagen!› Das tut am meisten weh.
Rafael reagiert auf diese Äusserung je nach Tagesform, erzählt er: «Wenn ich ruhig bleibe, sage ich: ‹Solange wir unter einem Dach wohnen, habe ich sehr wohl etwas zu sagen.›» Manchmal aber, findet er, kehre seine Verletzung zu sehr nach aussen und er sei eingeschnappt. «Ich möchte lernen, da noch etwas souveräner zu reagieren.»
«Was bin ich – Gast? Vaterersatz? Störenfried?»
Mit einer anderen Herausforderung sah sich Walter konfrontiert. Heute ist er 56 Jahre alt und schaut auf fast 20 Jahre als Stiefvater zurück. Die Kinder seiner Partnerin waren zwischen neun und 15, als er sie kennenlernte.
Das Schwierigste sei gewesen, seine Rolle zu finden, sagt der Lokführer. Bei seinen eigenen zwei Kindern wusste er genau, was er ist: Erzieher, Ernährer, Betreuer. Bei seinen drei Stiefkindern, in demselben Alter, war es schwierig: «Was bin ich?», fragte er sich immer wieder. «Gast? Vaterersatz? Vielleicht sogar Störenfried?» Bis heute hat er darauf keine Antwort gefunden.
Aber irgendwann brauchte Walter auch keine Antwort mehr – nämlich als die Stiefkinder auszogen. «Ich konnte mich davon lösen, überhaupt eine Rolle zu haben», sagt er. «Das war befreiend!» Er braucht keine Rolle mehr, weil die Kinder jetzt auf eigenen Füssen stehen. Heute kann er ihnen auf Augenhöhe begegnen und von ihnen lernen. «Jetzt bin ich einfach Walter.»
«Ich komme erst an dritter Stelle»
Welche Rolle habe ich als Stiefvater? Diese Frage hat sich auch Rafael gestellt: «Die Rolle des Vaters und der Mutter waren und sind schon gut besetzt. Ich musste notgedrungen etwas anderes für mich finden.» Er entschied sich dafür, Julians Kumpel zu sein. Damit kann er eine Lücke füllen, die der leibliche Vater offenlässt: Fussball spielen, Skateboard fahren, herausfordern, Sprüche klopfen.
Die Rolle des Vaters und der Mutter waren und sind schon gut besetzt. Ich musste notgedrungen etwas anderes für mich finden.
Auch wenn Rafael seine Rolle gefunden hat, hat er manchmal trotzdem das Gefühl, um seinen Platz in der Familie kämpfen zu müssen: «Zuerst kommt für Julian in der Hierarchie die Mutter, dann der Vater und erst dann komme ich.» Manchmal vergessen die leiblichen Eltern, ihm Entscheidungen mitzuteilen, die sie getroffen haben. Dann fühlt er sich wie das fünfte Rad am Wagen.
In schwierigen Momenten besinnt sich Rafael auf die schönen Seiten seiner Stiefvaterschaft: «Dann sage ich mir immer, welch grosses Geschenk ich eigentlich mit dieser Familie habe. Bei mir hat es auf natürlichem Weg nicht geklappt. Und ich bin sozusagen gratis zu einer Familie gekommen.» Er lacht. Gratis sei es natürlich nicht, aber: «Ich habe so viele schöne Momente mit meiner Frau und Julian. Dafür bin ich unglaublich dankbar.»