Man sieht sie bald auf jedem Schweizer See: die Wingfoiler. Stehend auf einem Foil-Board und einem «Wing» in der Hand, gleiten sie nahezu schwerelos über das Wasser. Im Gegensatz zum Windsurfen oder Kitesurfen, ist der Wing nicht fest mit dem Brett oder der Surferin verbunden. Einzig eine Sicherheitsleine verhindert, dass man sein Material verliert. Dies eröffnet bis anhin unbekannte Möglichkeiten für Tricks und Variationen.
Das schwerelos übers Wasser fliegen raubt einem den Atem, von der ersten Sekunde an, in der man abhebt!
Dank der Hydrofoil Technologie, verringert sich der Wasserwiderstand des Bretts massiv. Wie bei einem Flugzeug generiert die vordere Tragfläche den Auftrieb. Die hintere, kleinere Tragfläche dient als Stabilisator. So wird das Brett einige Zentimeter aus dem Wasser gehoben und Könner gleiten bzw. fliegen nahezu kraftlos über das Wasser.
Faszination Wingfoilen
Einer, der von der ersten Stunde an dabei war und zur absoluten Weltspitze im Wingfoilen gehört, ist der Bieler Profi-Wassersportler Balz Müller. «Ich habe in Silvaplana das erste Mal einen Wing ausprobiert. Nach zwei Stunden war ich so begeistert, ich musste einfach so ein Ding haben. Ich habe mein ganzes Geld zusammengekratzt und habe der Surfschule vor Ort den einzige Wing, den sie hatten, abgekauft. Seither stehe ich jede freie Minute auf dem Brett.»
Wingfoilen ist wie eine Droge, im positiven Sinn.
«Wingfoilen ist wie eine Droge, im positiven Sinn. Mann kann nicht genug davon kriegen. Das schwerelos übers Wasser fliegen raubt einem den Atem, von der ersten Sekunde an, in der man abhebt!», sagt Balz Müller
Zudem braucht es fürs Wingfoilen im Vergleich zum Windsurfen viel weniger Wind. Dies macht laut Balz Müller nahezu jeden Schweizer See attraktiv fürs Wingfoilen. «Auf den Schweizer Seen hat es vielleicht an 25 Tagen pro Jahr genug Wind zum Windsurfen. Fürs Windfoilen reicht der Wind an 300 Tagen pro Jahr. Deshalb explodiert die Sportart momentan so.»
Hinzu kommt, dass Wingfoilen – im Gegensatz zum Kiten – fast auf allen Schweizer Seen erlaubt ist. Und so wird für Balz Müller die Schweiz plötzlich zum Wingfoil-Mekka: «Früher flogen die Windsurfer auf der Suche nach perfekten Wind-Bedingungen nach Hawaii. Mit dem Wingfoilen hat sich das Mekka von Hawaii auf die Schweizer Gewässer verschoben, weil wir hier perfekte Wingfoil-Bedingungen haben!»
Wingfoilen im Aufwind
Im Frühjahr 2019 präsentierte der Weltklasse Windsurfer Robby Naish seinen ersten Wing. Weitere Hersteller folgten. Seither steigen die Verkaufszahlen kontinuierlich an. Vor allem in den USA und in Australien sind die Verkaufszahlen regelrecht explodiert, sagt Philipp Knecht von der Sideshore AG (Schweizer Importeur der wichtigsten Wingfoil Marken). In der Schweiz sind die Verkaufszahlen zwar noch auf relativ tiefem Niveau, haben aber im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls 40 bis 50 Prozent zugenommen.
Wingfoilen ist relativ einfach. Wenn man etwas Gleichgewichtsgefühl mitbringt, kann das fast jeder.
Dass Wingfoilen im Aufwind ist, merkt auch Yo Wiebel in seiner Foiling Schule. Die Anzahl Personen, welche die neue Sportart lernen wollen, hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Das hat auch damit zu tun, dass die Zielgruppe im Vergleich zu anderen Wassersportarten grösser ist. Da Wingfoilen wenig Kraft benötigt, ist es eine Sportart für Jung und Alt: «Wingfoilen ist relativ einfach. Wenn man etwas Gleichgewichtsgefühl mitbringt, kann das fast jeder.»
Wingfoilen als Spitzensport
Seit einiger Zeit gibt es im Wingfoilen unter anderem einen Weltcup, Europa- und Weltmeisterschaften in den Disziplinen «Race» und «Freestyle».
Mittlerweile sind meine Gegner 15- bis 16-jährige Knaben. Es fällt mir langsam schwer, diesen jungen Wilden hinterherzukommen!
2020 hat Balz Müller am ersten offiziellen Freestyle Weltcup teilgenommen und gleich gewonnen. Seither fährt er in der Weltspitze mit, gehört aber mit seinen 28 Jahren bereits zum alten Eisen, wie er selbst sagt: «Mittlerweile sind meine Gegner 15- bis 16-jährige Knaben. Es fällt mir langsam schwer, diesen jungen Wilden hinterherzukommen! Es ist verrückt, wie schnell sich der Sport entwickelt hat, vom einfachen Hin- und Herfahren, hin zum Salti springen!»
Wobei einfache Salti schon Schnee von gestern sind. In grossen Wellen springen die jungen Wilden bereits Doppelsalti. Bei den Rotationen um die Längsachse steht man aktuell bei dreifachen Drehungen («ten-eighties»).
Balz Müller: «Ich springe auch dreifache Rotationen. Das Problem sind die Landungen. Von zehn Versuchen stehe ich vielleicht zwei.» Dennoch bleibt Balz Müller am Ball. Aktuell feilt er an einem Rückwärtssalto mit Dreifachrotation («Cork ten-eighty»). Die Grenzen in dieser jungen Sportart sind offensichtlich noch lange nicht erreicht. Man darf gespannt sein, was da noch alles kommt.