Es ist eine Eigenart des Schweizer Schulsystems, dass jeder Kanton, manchmal sogar jede Gemeinde, ein anderes Übertrittverfahren in die Oberstufe kennt. Die Erziehungsdirektorenkonferenz formuliert es so: «Der Unterricht auf der Sekundarstufe I erfolgt leistungsdifferenziert nach unterschiedlichen Modellen (geteiltes, kooperatives oder integriertes Modell). Je nach Kanton wird flächendeckend ein Modell geführt oder der Kanton überlässt den Gemeinden die Wahl zwischen verschiedenen Modellen.»
Die Zuteilung basiert auf Noten und Empfehlungen der Lehrkräfte. Je nach Schultypus gilt es, eine Aufnahmeprüfung zu bestehen.
Zauberwort Durchlässigkeit
Heute gibt es zwischen den Leistungsniveaus jedoch mehr Durchlässigkeit. Ein Kind kann sich zum Beispiel in der Mathematik in ein oberes Leistungsniveau hocharbeiten. Oder auch runterfallen. Damit entfällt die starre Zuteilung in Leistungsniveaus über drei Jahre. Die Leistungsklassen bleiben bestehen.
Kinder an der Schwelle zur Pubertät
Lutz Jäncke, emeritierter Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich, sagte es in der Elternzeitschrift «Fritz und Fränzi» so: «Zwölf Jahre ist der absolut falsche Zeitpunkt für diese Selektion. Die Hirnforschung zeigt zur Genüge, dass genau in jener Zeit das Gehirn in einer radikalen Umbauphase ist. Der Frontalkortex ist in heller Aufregung, es ist die schlimmste Phase im Leben eines Kindes.»
Leistungsklassen bieten die gute Möglichkeit, sich seiner Fähigkeiten bewusst zu werden.
Leistungsklassen sind wichtig
Diana Gutjahr, Unternehmerin und SVP-Nationalrätin, ist froh, dass es Leistungsklassen gibt. Ihre Unternehmung bildet Lernende aus. «Ohne Einstufung würden wir noch mehr Gefahr laufen, dass sich Jugendliche oder deren Eltern überschätzen und der falsche Einstieg ins Berufsleben gewählt wird.» Deshalb böten Leistungsklassen «die gute Möglichkeit, sich seiner Fähigkeiten bewusst zu werden, um sich im entsprechenden Fach weiterzuentwickeln und sich auch zu messen. Wer seinem Niveau entsprechend gefördert wird, hat Erfolgserlebnisse.»
Das Schicksal einer Mehrzahl der Schweizer Bevölkerung wird im Primarschulalter besiegelt.
Leistungsklassen sind unfair
Jörg Berger, Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz, ist gegen eine Selektion nach der sechsten Klasse. Sie komme zu früh. Zudem basiere sie auf Noten und Empfehlungen der Lehrkräfte. Auch wenn diese nach bestem Wissen und Gewissen handeln, wisse man aus Untersuchungen, dass bei gleicher Leistung Kinder von akademisch gebildeten Eltern besser benotet würden als Kinder aus bildungsfernen Haushalten.
Im Hinblick auf Durchlässigkeit ist Jörg Berger ebenfalls kritisch: «Die Durchlässigkeit ist leider eine Mär. Das Schicksal einer Mehrzahl der Schweizer Bevölkerung wird im Primarschulalter besiegelt.» Das sei nicht nur für die Betroffenen eine Katastrophe, sondern auch für die Schweiz in Zeiten von Fachkräftemangel und unbesetzten Lehrstellen.