Beim Paarsex zwischen Mann und Frau besteht in der Schweiz eine Orgasmus-Lücke. Dies bestätigt eine Untersuchung an der Universität Basel: Während 94 Prozent der Männer häufig oder fast immer zum Höhepunkt kommen, sind es bei den Frauen gerade mal 56 Prozent.
Untersucht wurde in Basel aber vor allem auch, wo die Gründe für diese Orgasmus-Lücke liegen könnten. Studienleiterin Lenya Koechlin bilanziert im Interview: Das Hinzukommen eines Penis beim Sex mindert die Chance der Frau auf einen Orgasmus.
SRF: Frauen kommen weniger häufig zum Orgasmus als Männer. Welche Gründe für diese Orgasmus-Lücke haben Sie gefunden?
Lenya Koechlin: Gemäss unseren Ergebnissen liegt es vor allem am Verständnis von Sex zwischen Mann und Frau. Viele Menschen verstehen «Sex» und «Penetration» als Synonyme. Das hat einen Einfluss auf die Orgasmus-Häufigkeit der Frau. Denn es ist bekannt, und wird auch durch unsere Ergebnisse erneut bestätigt, dass sehr viele Frauen alleine durch Penetration keinen Orgasmus erleben, sondern externe Stimulation der Klitoris brauchen.
Würden wir auch Sexualtechniken wie manuelle oder orale Stimulation der Klitoris als Sex verstehen, würde sich die Orgasmus-Lücke deutlich verringern.
Welche weiteren Faktoren führen dazu, dass Frauen seltener kommen als Männer?
Auch der Pornografiekonsum spielt eine Rolle. Die Zahl der Frauen, welche beim Sex zuverlässig einen Orgasmus haben, ist höher bei Frauen, die keine Pornos konsumieren, als bei Frauen mit häufigem Pornokonsum. Das hat aus unserer Sicht damit zu tun, dass die Mainstream-Pornografie ein Bild von Sex vermittelt, das stark auf Penetration fixiert ist. Frauen schauen sich also beim Pornokonsum Praktiken ab, die ihrer Sexualität nicht dienlich sind.
Allerdings muss man sagen, dass es noch eine weitere Erklärung für den Zusammenhang geben kann: Dass fehlende Befriedigung beim Sex bei Frauen zum häufigen Pornokonsum führt.
Welche Rolle spielen Tabuisierung und umgekehrt Kommunikation?
Aus unseren Resultaten ist klar ersichtlich, dass Frauen häufiger einen Orgasmus haben, wenn sie ihre Bedürfnisse klar kommunizieren. Dafür ist aber auch in den Medien wenig Raum, wie sich etwa in Hollywood-Filmen sehen lässt. Sprache kommt dort beim Sex fast nicht vor.
Das Wissen um die weibliche Anatomie hat laut Ihrer Studie keinen signifikanten Einfluss auf die Orgasmus-Lücke. Wie erklären Sie sich das?
Wir sehen, dass Frauen für sich bei der Masturbation meist einen Orgasmus erleben. Sie wissen also, was sie brauchen. Das scheint aber keinen Platz mehr zu haben, wenn der Mann dazukommt. Das bringt mich zu der etwas provokanten Aussage, dass das Hinzukommen eines Mannes oder Penis die Chance auf einen weiblichen Orgasmus mindert.
Zum anderen ist es aber auch wichtig zu erwähnen, dass bei unserer Umfrage viele junge und gut gebildete Menschen teilgenommen haben. Das könnte hier auch zu einer gewissen Verzerrung geführt haben.
Wie liesse sich die Orgasmus-Lücke verkleinern, basierend auf Ihren Ergebnissen?
Ganz entscheidend ist es, die Klitoris mehr in den heterosexuellen Paar-Sex einzubeziehen. Zusätzlich wäre es wichtig, ein diverses Verständnis von Sex zu fördern – über reine Penetration hinaus. Das beginnt bei anderen Darstellungen von Sex in den Medien und auch im Sexualkundeunterricht. Aber es sollte auch vermehrt Teil unserer Gespräche rund um Sex werden.
Das Gespräch führte Vera Büchi.