Unlängst hat Rolf Hermann unseren Hörerinnen und Hörern dieses „Früh-Stück“ aufgetischt, das hier im Original uff Wallisärtiitsch sowie in der hochdeutschen Übersetzung nachgelesen werden kann. Viel Vergnügen!
« Dokktäraarbeit»
Där Tscheims Eibrähäm Ezechiel Mörill, ä jungä, schwaarzä Amerikanär, hätt an är Börkli Iunivörsiti in Kaliforniu an ära Dokktäraarbeit gschribu mit dum Titil: Di Evoluschen of de Lötschentaler Daiäläkt – Kwuo waadis? Fär schiini Teesä empirisch z unnärmüüru, isch är ins neeggscht Flugzig gschtigu und viärzää Schtundä schpeetär mit dumä Üffnamegräät und allärlei Fraagebegu im Leetschutaal zär Taat gschrittu. Jädäs Litji, waa mu zwischu Fäärdu und där Leetschulikku bigägnut isch, hätt är intärwiut.
Naa zwei Wuchä hätt är alli Daatä zämu ka und schich an d Üsswärtig gmacht. Är hätt 321 Sitä gschribu. Där wichtigscht Sazz va där ganzu Aarbeit isch woll där gsii: Im ganzu Leetschutaal gits nummu no ei Mänsch, waa vam Schprächappärat här ubärhoipt no d Fääigkeit hätti, widär richtig z leetschinu, und das weeri där Pächtär vam Karaoke-Bischtro Früümugartu ds Kippil, där Puong Sun Tschu.
«Dissertation»
James Abraham Ezechiel Merrill, ein junger, schwarzer Amerikaner, verfasste an der Berkeley University in Kalifornien eine Dissertation. Der Titel lautete: The Evolution of the Lötschentaler Dialect – Quo vadis? Um seine Thesen empirisch zu untermauern, stieg er ins nächste Flugzeug. Vierzehn Stunden später schritt er mit einem Aufnahmegerät und allerlei Fragebogen im Lötschental zur Tat. Jeden, der ihm zwischen Ferden und der Lötschenlücke begegnete, interviewte er.
Nach zwei Wochen hatte er alle Daten beisammen und machte sich an die Auswertung. Er schrieb 321 Seiten. Der wichtigste Satz der ganzen Dissertation war wohl dieser: Im ganzen Lötschental gibt es nur noch einen Menschen, der von seinem Sprechapparat her überhaupt noch die Fähigkeit besitzt, den Lötschentaler Dialekt korrekt auszusprechen, und zwar den Pächter des Karaoke-Bistros Pflaumengarten in Kippel, Phuong Sun Chu.
«Früh-Stücke» von und mit Rolf Hermann
Zum Autor
Rolf Hermann, geboren 1973 in Leuk, Wallis, lebt heute in Biel/Bienne. Sein Studium in Fribourg und Iowa, USA, verdiente er sich als Schafhirt im Simplongebiet. Hermann ist u. a. Mitglied der Mundart-Combo Die Gebirgspoeten. Sein Schaffen wurde verschiedentlich ausgezeichnet, zuletzt mit dem Literaturpreis des Kantons Bern (2015) für den Lyrikband «Kartographie des Schnees».
Die «Früh-Stücke» sind kurze Auftritte von Autorinnen, Komikern, Kabarettisten und Slam Poetinnen im Programm von Radio SRF 2 Kultur. Montag bis Freitag um 6.10 Uhr.