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Aktuell Kolumne: Wir verlieren Kunden paarweise, haben sie gesagt

Die vier Tage bei Parship waren für Nora Zukker trostloser, als all ihre Beziehungsenden in den letzten Jahren. Ein Erfahrungsbericht.

Ich hatte mir frisch die Finger an einem flatterhaften Gemüt verbrannt. Er verliess eines Morgens meine Wohnung und mich. Oder umgekehrt. Der Liebeskummer war beachtlich. Ich ging nur vor die Tür, um Lebensmittel für eine Woche einzukaufen, um die übrigen Tage wieder im Bett zu verbringen. Rauchend. Ja, das erlaubte ich mir damals.

Endstation: Onlinedating?

Nora Zukker

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Legende: SRF

Nora wurde 1986 geboren, lebt in Urdorf, schreibt an ihrem Prosadebut und Texte für diverse Literaturmagazine. Bei SRF 3 versorgt sie euch wöchentlich mit Geschichten – im Normalfall aber mit den Geschichten anderer Autoren: Welches Buch, welches Magazin oder welchen Blog man unbedingt konsumieren sollte, hört ihr jeden Donnerstag im Lesezunder.

Bei einem dieser Einkäufe lächelte Cosma Shiva Hagen von einer Plakatwand: Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship. Bis zu diesem Tag bin ich Männern auf dem Fussgängerstreifen begegnet. Oder am Tresen. Oder beim Geburtstag meines besten Freundes. Das hat sich die letzten Jahre bewährt. Ausser auf dem Fussgängerstreifen. Da bin ich vor ein Auto gelaufen. Aber im Internet? Endstation: Onlinedating. Nein, danke. Wäre da nicht der imposante Liebeskummer gewesen, gegen den nur gelegentlicher Sex half. Und so war Parship plötzlich eine Option, meinen Marktwert zu testen.

Zu Hause ging alles sehr schnell. Nach einer Flasche Rotwein gratulierte mir Parship zur Premium Mitgliedschaft. Mindestdauer ein Jahr. Anonym, sicher und TÜV-geprüft. Da passiert nichts, ausser Liebe. So das Versprechen der Partneragentur. Zur besten ausgezeichnet. Mehrfach. Warum nicht Elite Partner, fragen Sie sich, erfahrene Leserin? Weil ich nicht sicher war, ob ich nicht gerade an Niveau verlor. Und das ist bei Elite Partner wichtig. Für Akademiker und Singles mit Niveau, sagen die.

Ich beantwortete also Fragen wie: «Sind sie eher der Winter- oder Sommertyp?» und charakterisierte mich mit Auswahlsätzen wie «Ohne meine Freiräume könnte ich nicht existieren.» Daraus erfasste Parship anschliessend die beziehungsrelevanten Dimensionen meiner Persönlichkeit in einem Gutachten. Ich habe eindeutig mehr männliche Eigenschaften als der Durchschnitt. Eine Hürde seien aber meine Extremwerte. Mal introvertiert. Mal extrovertiert. Es werde nicht einfach. Ich bin aber durchschnittlich empathisch. Immerhin.

Vom Liebesdurst und Küssen nach Oralsex

Mit einer Chiffre maskiert zog ich also los. Ich klickte mich durch Profile, las Weisheiten unter Mein Lebensmotto, die mich schauderten. Auf Platz eins: Manche Menschen treten in dein Leben ein wie ein Segen, andere wiederum wie eine Lektion. Und ich wartete. Es passierte elf Minuten gar nichts. War ja klar. Klar war auch, dass ich dem Fräulein Hagen auf der Plakatwand glaubte. Man(n) gab mir Fotos frei. Nach einer Stunde. Auf dem Motorrad, am Strand, neben dem Hund oder vor der Zimmerpflanze. Ich wurde sehr schnell sehr traurig beim Anblick liebesdurstiger Menschen, die sich sicher sind, dass sie ein Matching-Algorithmus zu dem Menschen führt, der sie begehrt und ewig lieben wird. Konkret zu mir.

Ich bekam Nachrichten, die ich nicht beantwortete. Und ich schrieb Nachrichten, die unbeantwortet blieben. Ich beantwortete die Frage, ob mir Küssen nach dem Oralsex schmeckt. Darüber hatte ich noch nie gesprochen. Parship brachte mich dazu, dass ich es richtig fand, einem Unbekannten darüber Auskunft zu geben. Aufhören? Nein, ich war angefixt. Warum? Das wissen die Götter.

Ich hatte eine Regel: Drei Nachrichten müssen mich überzeugen, dann gebe ich meine Bilder frei. Dieses Mitglied hat sich von Ihnen verabschiedet. Standardabsage. Eine Zurückweisung tut auch dann weh, wenn sie per Mausklick kommt. Aber es ging allen gleich: Wer nicht aussortiert, kommt im zwischenmenschlichen Dschungel nicht weiter.

Ich hatte ein Ziel: Eine Verabredung mit einem Mann, dessen Fotos ich vorab nicht sehen wollte. Blind Date. Old School. Hatte ich noch nie. Am dritten Tag war es soweit. Er: Arzt, Mittdreissiger und zumindest schriftlich wortgewandt (seine Nachrichten schrieb offensichtlich jemand anderes für ihn), sass mir in einer Bar gegenüber. Was wir den ganzen Abend redeten, passt auf einen Bierdeckel. Schüchtern war er nicht. Er war gelangweilt und einsilbig. Aber er war schön. Wobei ihm eine Narbe oder eine Zahnlücke gut getan hätte, da er auffallend wenig Ausstrahlung abbekommen hatte. Und so eine Narbe über dem Auge hätte ihm einen Tick Verwegenheit gebracht. Aber es reichte mir für die eine Stunde, in der ich ihn einfach ansah. Wir verabschiedeten uns und wussten beide, da kommt nichts mehr.

Baby, zieh dich heiss an!

Was dann kam, kann man nicht erfinden. Er rief mich am nächsten Tag an. Die Telefonnummer tauschten wir aus, falls wir uns auf dem Weg zur Verabredung doch noch anders entscheiden würden. Er rief also an und fragte, ob ich noch ein Feedback von ihm möchte. Für eine nächste Verabredung. Ich sei ja neu bei Parship im Gegensatz zu ihm und da helfe er gerne. Ich konnte nicht glauben, was ich hörte und habe dabei vergessen aufzulegen. «Mit Freunden was trinken gehen» sei kein Hobby, lachte er. Ein gackerndes Lachen, das seine ganze Schönheit just in diesem Moment aufhob. Für ein nächstes Mal rate er mir auch, mich sexuell anspruchsvoller anzuziehen. Gefühle seien unklare Parameter. Er geriet in Fahrt. Er nutze ja verschiedene Social Media Kanäle, um Nähe herzustellen. Facebook reiche da nicht mehr und seitdem er keine Exklusivität mehr erwarte, ginge es ihm besser. Stille. Dann legte er auf.

Ich habe vier Tage durchgehalten. Den Rest des Jahres hat Parship nur noch monatlich meine Kreditkarte belastet. Ab und zu erkundigte man sich bei mir, wie ich voran komme und wünschte mir weiterhin viel Durchhaltevermögen. Jemand wartet auf Dich, haben sie gesagt. Liebe ist, wenn's passt, haben sie gesagt.

Liebe mitfühlende Leserin, denken Sie jetzt bitte nicht, ich sei verzweifelt. Im Gegenteil. Die vier Tage bei Parship waren trostloser, als all die Beziehungsenden in den letzten Jahren. Aber es war gut zu merken, dass ich kein Härtefall bin. Ich habe mehr denn je eine Schwäche für flatterhafte Gemüter und sehne mich wirklich nicht nach einem Verhältnis, wo Kosenamen wie «Honigzwiebeli» erregend sind. Ganz richtig, es gibt bestimmt etwas dazwischen. Aber Sie wissen jetzt über mich: meine Extremwerte sind eine Hürde.

Dieser Text erschien in der Erstpublikation bei thebrander.com – Das Schweizer Onlinemagazin über Marken und ihre Macher

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