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Angst vor dem Telefonieren Wird heute noch telefoniert?

Arzttermine werden per Mail vereinbart, Reservations-Anfragen im Restaurant per Online-Formular ausgefüllt und die Geburtstagsparty per Gruppenchat organisiert. Es scheint, als würde heute immer weniger (gerne) telefoniert – und auch weniger oft. Ist das wirklich so?

Eine nicht repräsentative Umfrage auf Instagram zeigt: junge Erwachsene haben häufig Mühe mit Telefonieren. Wenn eine fremde Nummer anruft, nimmt Linus (27), Teilnehmer der Instagram-Umfrage, das Telefon nie ab. «Ich finde das suspekt. Woher hat die Person meine Handynummer? Was will die von mir?» Stattdessen googelt er die Nummer nach dem Klingeln und dann entscheidet er, ob er zurückrufen will oder nicht.

Genau so macht es auch Yael (22), die bei unserer Umfrage mitgemacht hat. Für sie ist Telefonieren sogar purer Stress: «Ich habe panische Angst davor, beispielsweise Termine telefonisch zu vereinbaren». Das haben sie beide in unserer Instagram-Umfrage angegeben.

Es wird als höflicher empfunden, zuerst jemandem zu schreiben, ob man anrufen darf.
Autor: Daniel Süss

Es macht ganz den Eindruck, als würden junge Leute nicht (mehr) gerne telefonieren. «Der Kommunikationskanal Nummer eins sind auf jeden Fall Messenger wie beispielsweise WhatsApp», bestätigt Kommunikationswissenschaftler Daniel Süss. In der JAMES-Studie untersucht er mit seinem Team alle zwei Jahre das Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen, darunter auch das Telefonverhalten.

Prof. Dr. Daniel Süss

Prof. Dr. Daniel Süss

Co-Projektleiter JAMES-Studie

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Daniel Süss ist stellvertretender Direktor des Departements Angewandte Psychologie sowie Leiter des Psychologischen Instituts an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Zudem ist er Co-Projektleiter der JAMES-Studie, welche seit 2010 durchegführt wird. JAMES steht für Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz und wird alle zwei Jahre repräsentativ durchgeführt. Es werden jeweils über 1'000 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren aus den drei grossen Sprachregionen der Schweiz zu ihrem Medienumgang befragt.

Die Zahlen von 2020 zeigen: 74% aller Befragten nutzen ihr Handy täglich oder mehrmals pro Woche, um zu telefonieren. Seit 2014 ist diese Zahl relativ konstant, vorher (2010) lag sie bei rund 80%. «Die Telefonate sind aber kürzer geworden», fügt Süss hinzu.

Gründe, weshalb Jugendliche heute weniger telefonieren, sind gemäss dem Experten unterschiedlich: Textnachrichten sind – gerade in der Öffentlichkeit – intimer als Anrufe, spontane Anrufe werden als etwas aufdringlich empfunden und viele hätten oftmals Angst, dass etwas Schlimmes passiert sei, wenn jemand anruft.

In der Öffentlichkeit eine Nachricht zu schreiben ist viel intimer, als jemanden anzurufen, weil niemand zuhören kann.
Autor: Daniel Süss

Gerade bei formellen Telefonaten, wie beispielsweise bei einem Amt oder einer offiziellen Stelle anzurufen, ist die Überwindung noch grösser. «Viele Jugendliche empfinden Telefonieren als sehr anstrengend, weil man spontaner sein muss und sie überzeugend wirken müssen», erklärt der Wissenschaftler.

Video
1. Telefon-Tram der Welt (1991)
Aus Archivperlen vom 28.12.2016.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 32 Sekunden.

Auch Social Media hat dabei einen Einfluss: «Wir können Profile von fremden Menschen anschauen und erhalten so einen ersten Eindruck von ihnen, wenn wir mit ihnen in Kontakt treten und beispielsweise eine Freundschaftsanfrage verschicken.» Dass wir keine Ahnung haben, wer die Person gegenüber ist – wie eben bei einem Anruf an eine offizielle Stelle – ist in der heutigen Zeit für viele sehr ungewohnt und kann verunsichern.

Sicher aber ist: Das Bedürfnis an Kommunikation ist auch bei jungen Leuten sehr gross. Die Art der Kommunikation ist aber in einem ständigen Wandel. Denn auch im Zeitalter von Smartphones sind junge Menschen im Austausch mit anderen – aber eben über andere Kanäle. Vorher wurde stundenlang miteinander telefoniert, heute werden lange (Sprach-)Nachrichten verschickt.

Radio SRF 3, 28.07.2022, 07:20 Uhr

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