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Aufwachsen als Seconda SRF-Moderatorin Reena Thelly: «Heimat gibt es im Plural»

Ich werde immer wieder gefragt, was für Erfahrungen mit Rassismus ich schon gemacht habe. Lange hatte ich das Gefühl, dass nur die krassen Erlebnisse zählten. Aber Rassismus gibt es nicht nur auf die harte Tour, sondern auch in subtiler Form. Und zwar in beiden Welten.

Mein Jugendfreund ist schon vor Neonazis davongerannt, die ihn mit einem Messer verfolgten. Nicht in den USA, sondern bei uns im schönen im Baselbiet.

Wenn mich Leute nach meinen Erfahrungen mit Rassismus fragten – was seit Black Lives Matter öfter passiert – hatte ich lange das Gefühl, dass nur solche krassen Erlebnisse zählten, wie sie mein Jugendfreund gemacht hat. Solche Fragen nach rassistischen Erlebnissen – so wichtig die Diskussion auch ist – lösten bei mir das Gefühl aus, beweisen zu müssen, wie schlimm es denn wirklich sei.

Reena Thelly

Sendungsmacherin «Input»

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Reena Thelly ist Redaktorin des Podcasts «Input». Jeweils am Mittwoch um 15 Uhr überall, wo es Podcasts gibt und Sonntags um 20 Uhr auf Radio SRF 3.

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Als Kind wollte ich weiss sein

Ich musste nie vor Neonazis fliehen. Aber als Kind wollte ich weiss sein. Eine Anekdote aus meiner Kindheit beschreibt diese Zerrissenheit: Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, als ich heimlich in die Küche schlich, die Mehldose hervorkramte und meine Haut mit Mehl bestäubte. Plötzlich stand meine Mutter in der Küche und wollte zu schimpfen beginnen, als sie verstand, was ich da genau tat: Ich wollte schauen, ob mich das Mehl weiss macht. Für immer.

«Kinder merken, wenn die Eltern nicht akzeptiert sind»

Wie kann es sein, dass sich ein Kind für seine Hautfarbe schämt? «Kinder merken, ob sie zur Norm gehören, oder nicht. Im Bezug auf Hautfarbe und Migration ist klar, dass das nicht abgebildet ist», sagt der Berner Rassismus- und Migrationsforscher Rohit Jain, der wie ich Wurzeln in Indien hat. Mit ihm habe ich gesprochen, um meine Erlebnisse besser zu verstehen.

«Kinder merken, wenn ihre Eltern nicht akzeptiert sind», erklärt Jain weiter. «Du bekommst mit: Wenn du dich anpasst, dann kannst du dazugehören. Wenn man merkt, dass man dann eben doch nicht ganz dazugehört, tut das weh.»

Zu indisch für die Schweiz

Meine indische Herkunft konnte nicht cool sein, auch das war klar. «Du kannst froh sein, dass du hier aufwachsen darfst», sagte man mir in der Schweiz. Oder man wollte wissen, ob es in Indien normale WCs gebe. Sowas will kein Kind hören. Im Kindsgi und in der Primarschule wollte ich einfach so sein wie die anderen Kinder und nicht auffallen mit meiner dunklen Haut oder der sonderbaren Sprache, die meine Familie spricht.

Zu schweizerisch für Indien

Bei meinen Besuchen in Indien fand ich aber auch nicht alles super: «Sitze nicht zu lang in der Sonne herum, du wirst ja noch dunkler», haben sie gesagt. Ich solle als Mädchen nicht pfeifen, Velofahren und schon gar nicht eine grosse Klappe schwingen. Und ich solle keinen Schweizer heiraten, die liessen sich ja früher oder später eh alle scheiden. Ich war zu schweizerisch für Indien.

Neue Vorbilder braucht die Schweiz

Als Teenie hätten mir diversere Vorbilder gutgetan. Klar, es gab damals M.I.A., die ich nicht nur für ihren Sound bewundert habe.

Die Rapperin und Musikerin flüchtete von Sri Lanka nach Grossbritannien und hat eine einzigartige Karriere hingelegt. So sollte uns die Welt sehen, dachte ich damals. So etwas können wir auch, nicht nur in der Küche aushelfen oder das Büro putzen, nachdem die wichtigen Leute gegangen sind.

Diesen Sommer hat die St. Galler Musikerin Priya Ragu mit Wurzeln in Sri Lanka bei mir einiges ausgelöst. Sie verbindet Elemente aus der südindischen Musik mit Soul und R'n'B und kann easy einen Sari mit Sneakers kombinieren.

So eine wie sie, hätte ich als Teenie gebraucht. Im Vergleich zu M.I.A. ist Priya Ragu von hier, aus St. Gallen – das ist mir näher als London.

«Ich mache das, was ich mache, damit es die anderen auch machen. Weil es mehr Leute braucht, die diesen Weg gehen, vor allem aus der südindischen Community. Das sieht man echt nicht oft», sagt mir Priya Ragu im Interview.

Forscher Rohit Jain sagt dazu: «Ich glaube, die Schweiz hat noch gar nicht realisiert, dass sie ein Einwanderungsland ist – sowohl die Leute mit und ohne Migrationshintergrund.» Ein Drittel der Bevölkerung habe Migrationshintergrund, aber man sehe diese Leute nicht: «Darum ist es wichtig, dass Leute wie Priya Ragu sichtbar sind.»

Aus zwei Welten wird ein ganzes Universum

Ich kann nicht genau sagen, wann ich wohl in meiner Haut wurde. Ab wann ich wusste, wo ich hingehöre, weil es ein langer Prozess war – wie bei vielen Secondos und Secondas.

Aber ich kann mich daran erinnern, wie es plötzlich mal Pling! gemacht hat: Ich muss so um die zwanzig gewesen sein. Auf der einen Seite wurde ich in der Schweiz ständig gefragt, wo ich mich mehr daheim fühle, in der Schweiz oder in Indien. In Indien fragten sie mich dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen. Irgendwann habe ich mich entschieden, mich nicht zu entscheiden. Dass ich an beide Orte gehöre.

Oder um es mit den Worten von Priya Ragu zu sagen: «Ich kann mich überall daheim fühlen, egal wo auf der Welt, sobald ich die richtige Musik dabei habe. Ich bin mit tamilischer Musik und altem Soul und R'n'B aufgewachsen. Wenn ich diese Songs dabei habe, dann bin ich daheim!

Heimat – ein Begriff, den es im Plural gibt.

Rassismus in der Schweiz

SRF 3 Input / SRF 1 Doppelpunkt

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