Roger Widmer ist Goldschmied mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis. Er hat die Hände eines sibirischen Holzfällers: sie sind stark und schwielig.
Das passt durchaus, denn Widmer hat die filigrane Arbeit mit Ziselierpunzen und Handprägestempel vor Jahren hinter sich gelassen und sich einer rauheren Tätigkeit zugewandt.
Ich würde mich nicht als Träumer beschreiben, sondern als Macher.
Der 35-jährige ist Stadt-Parkour-Spezialist oder «Traceur». So heissen die Sportler, die wie Katzen durch städtisches Gebiet streifen. Sie springen über Abgründe.
Sie balancieren über Zäune. Sie hangeln an Mauervorsprüngen entlang. Und sie tun dasselbe auch in der Natur. Nie nehmen sie den bequemen Fussweg, sondern wählen ihre eigene, direkte Linie. Über umgefallene Bäume, über unwirtliche Geröllhalden und von Liane zu Liane. Man könnte auch sagen: Über Stock und Stein, Version 2.0.
Wie die Fremdenlegionäre
Erfunden haben`s die Franzosen in den 1980er Jahren. Deshalb der französische Name: traceur. Die besten ihrer Zunft vereinen die Eleganz eines Ballett-Tänzers mit der Kraft eines Elite-Soldaten. Dazu passt, dass Fremdenlegionäre einen Vorläufer der Sportart genutzt hatten, um im Dschungel möglichst schnell vorwärts zu kommen.
Roger Widmer hat Parkour im Jahr 2000 für sich entdeckt. In einer schlaflosen Nacht sah er im Fernsehen eine Dokumentation über einen verrückten Franzosen, der über Hausdächer sprang und Mauern hochkletterte. Schlagartig ist ihm, dem Rastlosen, klar: Das ist es, was ich machen will.
Polizisten und Banker sind dabei
Für Widmer ist Parkour weit mehr als ein Sport. Parkour taugt für ihn als Lebensschule. «Es geht darum, schnell Lösungen zu finden. Man entscheidet und muss dann mit der Konsequenz leben», sagt Widmer. Ist der Sprung zur nächsten Hausmauer realistisch? Ist der Mauervorsprung zu glitschig? Die Konsequenz einer falschen Entscheidung reichen von blauen Flecken bis zum Knochenbruch.
2008 hat Roger Widmer sein Hobby zum Beruf gemacht. Er – der Goldschmied, Kunstlehrer und Erwachsenenbildner – und sein Compagnon Felix Iseli, ein gelernter Koch, gründen die eigene Firma. Sie unterrichten Lernwillige in der Kunst der katzenhaften Fortbewegung. Polizisten, Studentinnen, Banker und Schauspielerinnen waren bereits bei ihnen.
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Aller Anfang ist hart. Aber genauso konsequent wie sich die Traceure ihren Weg durch urbanes oder grünes Dickicht bahnen, hat Widmer an der Zukunft seiner Firma gearbeitet. Seine Parkour-Schule ist längst über Münsingen hinausgewachsen. Erst nach Bern und Zürich und mittlerweile hat sie sich im Franchising-System in ganz Europa verbreitet.
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Bild 1 von 8. Diese Füdli-Disziplin heisst Aufwärmen. Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.
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Bild 2 von 8. Roger Widmer: «Es gab am Anfang auch viel Kritik, dass wir mit Parkour Geld verdienen wollten und wollen. Aber es ist einfach eine logische Schlussforderung. Wir wollten konsequent nur noch das machen, dann musst du damit auch Geld verdienen können. Ohne Geld geht es in dieser Welt nicht. Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.
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Bild 3 von 8. Roger Widmer bezeichnet sich selber als «kreativen Chaoten, der sehr stur und gradlinig etwas verfolgen kann». Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.
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Bild 4 von 8. Ansage des Profis: «Auf den Fussballen stehen und nicht wie eine Ballerina auf die Fussspitzen.». Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.
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Bild 5 von 8. «Parkour ist machen, und kein Leben im Konjunktiv», sagt Roger Widmer. Das sieht Philippe Gerber in diesem Moment nicht ganz so klar. Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.
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Bild 6 von 8. Der Kommentar von Gerber beim mehr oder weniger freien Fall: «Es macht im Fall richtig weh an den Fingern.». Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.
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Bild 7 von 8. «Mein innerer Schweinhund treibt mich immer weiter an», sagt Roger Widmer. «Ich habe das Gefühl, dass man sich in jeder Lebenslage vorwärts bewegen muss.». Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.
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Bild 8 von 8. Philippe Gerber und Roger Widmer in Münsingen. Einen Tag lang hechtet der Parkour-Anfänger Geber dem Profi Widmer hinterher. Bildquelle: SRF 3/Claudia Herzog.