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Digital am Sonntag Digital am Sonntag, Nr. 70: Wie Kryptoanarchisten denken

Das Thema dieses Wochenende: Im Untergrund zu Haus. Oder wie Kryptoanarchisten mit Hilfe von Technologie versuchen, der Staatsmacht die Kontrolle über Geld und Leben zu entziehen.

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Am Wochenende hat man Zeit. Deshalb stellen wir hier jeden Freitag die Artikel zu Digital-Themen zusammen, die wir lesens- und bedenkenswert finden. Setzt euch zu uns in die bequemen Sessel dieser «chambre de réflexion digitale»!

Habt auch ihr einen Tipp? Sagt es uns.

Der Journalist Andy Greenberg, früher bei «Forbes», schreibt seit April für das Magazin «Wired». Greenberg war einer der ersten, der ein grosses Interview mit Julian Assange von Wikileaks führte. Ebenfalls seit einer Weile befasst Greenberg sich mit dem Texaner Cody Wilson. Wilson ist derjenige, der vor etwas mehr als einem Jahr die 3-D-Drucker-Pläne für eine krude Pistole namens «The Liberator» veröffentlichte (wir haben hier berichtet).

Nun schreibt Greenberg für «Wired» ein ausführliches Porträt über Cody Wilson und seinen Kompagnon, den Briten Amir Taaki. Taaki ist wesentlich an der Kryptowährung Bitcoin beteiligt, ebenso am dezentralisierten Online-Marktplatz DarkMarket. Zusammen haben Taaki und Wilson nun Dark Wallet veröffentlicht, eine Ergänzung zu Bitcoin. Diese drei Puzzleteile – Währung, Marktplatz, virtuelle Brieftasche – sollen Zahlungsverkehr und Handel komplett anonymisieren und jeglicher Kontrollmöglichkeit entziehen.

In Greenbergs Porträt geht es vor allem um den ideologischen Hintergrund, der die Entwicklung dieser Technologie antreibt.

Wilson und Taaki bezeichnen sich als Kryptoanarchisten. So sieht Wilson die Pistole aus dem 3-D-Drucker als ein Symbol, welches das Gewaltmonopol des Staates untergräbt. Denn das freie Verbreiten von Information zur Herstellung von Waffen erschwert es der Staatsmacht, Herstellung und Handel von Waffen zu kontrollieren. So verliert der Staat die Kontrolle darüber, wer überhaupt Gewalt ausüben kann.

Die gleiche Logik wenden Wilson und Taaki auf Zahlungs- und Handelssysteme an. Nur wenn es zentral regulierte Banken und Zahlungssysteme gibt, können Staaten Steuern oder Zölle verlangen, Warenflüsse kontrollieren, den Handel von bestimmten Gütern verhindern.

Diese Macht wollen Taaki und Wilson durchbrechen. Taaki begründet das gegenüber Greenberg so:

I believe in the hacker ethic. Empower the small guy, privacy and anonymity, mistrust authority, promote decentralized alternatives, freedom of information. These are good principles. The individual against power. […] But it's important to be clear that it may not be good on balance, either. The world is not perfect. Good and evil rise together.

Während Taaki diese Entwicklung als unaufhaltsam, aber durchaus mit schlechten Nebenwirkungen zu sehen scheint, wischt Wilson Befürchtungen mit einer gehörigen Portion amerikanischem Anarcho-Libertarismus weg:

Where the people fear the government there's tyranny. Where the government fears the people there's liberty. They're afraid, therefore it's good.

Greenberg gewährt in seinem Artikel einen tiefen Einblick in diese Gedankenwelt. Ich glaube, es ist wichtig, sie ernst zu nehmen. Denn unter dem Eindruck von Globalisierung, wachsender finanzieller und technologischer Gräben und insbesondere der Finanzkrise und ihren Folgen in den USA und Europa scheinen sich gewisse Kreise frustriert vom bestehenden System abzuwenden. Es ist kein Zufall, dass Taaki im Moment in der Hausbesetzerszene in Barcelona lebt: Die Jugend Spaniens weiss, wie es sich anfühlt, wenn eine ganze Generation von Wirtschaft und Staat im Stich gelassen wird.

Kryptoanarchisten wie Taaki und Wilson sehen nur eine Antwort auf dieses Versagen: die Macht der Staaten so weit wie möglich zurück zu drängen, zu unterlaufen. Technologie gibt ihnen die Mittel dazu in die Hand. Oder wie Greenberg es formuliert:

Their goal […] is to give people tools that make illegal behavior so commonplace and technically trivial that the law ceases to be relevant.

Ganz unabhängig davon, welche Rolle man persönlich dem Staat zubilligen mag: Unterschätzen sollte man das Aufblühen dieser Denkweise auf keinen Fall.

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