Ich kann total nicht zeichnen. Mein Niveau liegt auch heute noch bei einem Dreijährigen. In der Schule gab es deswegen viele schwierige Momente. In bester Erinnerung ist mir eine rührige Zeichenlehrerin in der Kanti, die pädagogisch bei jedem von uns «das Gute» und «die Fähigkeiten» beachtete und nicht die Mankos – aber bei mir auch mit noch so viel Goodwill mit dieser lobenswerten Einstellung an ihre Grenzen stiess.
Ich und Zeichnen: Eine einzige Geschichte voller Peinlichkeiten.
Doch nun ist alles anders. Zum ersten Mal fühle ich mich verstanden. Google Auto Draw ist ein neuer Online-Dienst, der dort weiter macht, wo meine Zeichenlehrerin an ihre Grenzen stiess – er kann meine Kritzeleien verstehen. Ein Beispiel: Ich kritzle eine Katze – Auto Draw schlägt mir verschiedene Skizzen vor, darunter auch Katzen. Unglaublich!
Google auf der Jagd nach Abstraktion?
Auto Draw basiert auf demselben Algorithmus, der auch bei Quick Draw Skizzen erkennt. Google sagt, man wolle es uns damit erleichtern, in die Welt der künstlichen Intelligenz abzutauchen – ganz spielerisch.
Ist Auto Draw also ein ganz uneigennütziger Dienst? Wohl kaum. Googles Geschäft sind Daten – und Daten fallen auch an, wenn wir ein Objekt skizzieren. Das spannende daran: Jede Skizze reduziert das Objekt auf das Wesentliche, abstrahiert. Das führt zu einem hohen Wiedererkennungswert. Und genau an diesem Prozess könnte Google interessiert sein, um so die eigenen Algorithmen schlauer zu machen.
Damit die lernen können, muss man sie mit möglichst vielen Daten füttern («Big Data»).
Beispiel: Ganz viele Fotos von Äpfeln führen dazu, dass Googles Bildersuche sich typische Eigenschaften eines Apfels aneignet (zum Beispiel: rund, grün). Die Software ist danach in der Lage, Apfelbilder zu finden.
Fällt ein Apfel (faul und braun) aus dem Rahmen, so funktioniert die Suche nicht mehr. Die Software ist überfordert, weil ihr antrainiertes Muster nicht zu diesem Apfel passt.
Ein Kind hingegen kann auch einen faulen Apfel identifizieren, weil es versteht, was ein Apfel ist und nicht bloss ein paar Eigenschaften wie Form und Farben damit in Verbindung bringt. Das Kind verfügt über ein Erklärungsmodell, weil es anders lernt als die Maschine.
Dumme künstliche Intelligenz
«Machine Learning hat heute nichts mit wirklichem Verstehen zu tun», sagt Jana Koehler, Expertin für künstliche Intelligenz an der Hochschule Luzern. Das sei der Grund, warum künstliche Intelligenz heute noch ziemlich dumm ist. Auto Draw könnte also ein Zwischenschritt sein auf dem Weg zu einer künstlichen Intelligenz, die nicht einfach Datenmengen verarbeitet, sondern auf erklärende Modelle zurückgreifen kann und dadurch «versteht». Davon seien wir noch weit entfernt, meint Jana Koehler. Aber wenn wir einmal dort sind, «dann wird's richtig spannend!»
Mir genügt, was Auto Draw heute schon kann – denn das geht weit über meine eigenen zeichnerischen Fähigkeiten hinaus.