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EIne Frau sitzt am Steuer eines fahrenden Autos, die Hände aber nicht auf dem Steuerrad.
Legende: Automatisches Fahren im Konvoy: Projektleiterin Linda Wahlström gibt ein Interview, während sie in ihrem ferngelenkten PKW unterwegs ist. Volvo

Digital Digitale Technologie: Der LKW wird zur Lokomotive

Geht es nach den Autoherstellern, sollen schon bald Sensoren und Computer das Steuer übernehmen. Mit einem anderen Ansatz experimentieren die Produzenten von Nutzfahrzeugen: Autos, die untereinander kommunizieren können – die Vision vom autonomen Konvoi.

Die Forscher des Projektes Safe Road Trains for the Environment (Sartre) haben den Beweis schon 2012 erbracht: Automatisiertes Fahren im Konvoi ist technisch machbar. Das Resultat ihrer dreijährigen Arbeit haben die Entwickler in einem eindrücklichen Video dokumentiert: Ein Lastwagen, der von einem Chauffeur gelenkt wird, führt einen Pulk von mehreren Personenwagen an. Die Lenker der nachfolgenden Autos delegieren die Kontrolle. Statt sich auf den Verkehr zu konzentrieren, vertreiben sie sich die Zeit mit Schreiben von SMS oder lesen – ganz wie in einem Zug.

Alle Fahrzeuge im Umzug bewegen sich synchron. Während sich der Konvoi mit 90 km/h fortbewegt, beträgt der Abstand zum nächsten Fahrzeug bloss vier Meter. Der Konvoy gleicht einem Zug: Wie eine Entenmutter ihre Jungen führt ein Lastwagen die Kolonne an. Statt einer Kupplung sind die Wagen über eine Datenverbindung miteinander verbunden.

Die Abhängigkeit schafft Vorteile

Möglich ist dies dank der Kommunikation zwischen den Fahrzeugen. Die Autos im Konvoi sind über Funk miteinander verbunden und wissen so, was das Leitfahrzeug gerade macht, ob es beschleunigt oder abbremst. Ein Computer verarbeitet diese Informationen und übernimmt die Steuerung. Die Abstände zwischen den Fahrzeugen können deshalb ohne Einbusse an Sicherheit reduziert werden.

Der Verzicht auf die Unabhängigkeit der einzelnen Fahrzeuge bringt Vorteile:

  • Alle Autos sparen wegen des Windschatten-Effekts bis zu 20 Prozent Treibstoff.
  • Die Fahrzeuge im Konvoi nehmen zusammen weniger Raum ein.
  • Ein Konvoi verhält sich wie ein einziges Fahrzeug. Er kann bei Stau auf einer Autibahn viel schneller anfahren als die einzelnen Autos, da die Verzögerungen wegfallen.
  • Wird das Leitfahrzeug von einem professionellen Chauffeur gefahren, so ist das sicherer als sich auf das Verhalten der Laien in den hinteren Fahrzeugen zu verlassen.
  • Da sich die Lenker in den Folgefahrzeugen nicht auf den Verkehr konzentrieren müssen, ist ihre Fahrt komfortabler.

Die Technik ist nicht das Problem

Am Forschungsprojekt Sartre waren neben Hochschulen und Firmen aus der Auto-Industrie mit Volvo und Scania auch zwei Hersteller von Nutzfahrzeugen beteiligt. Unterstützt wurde das Projekt finanziell von der EU. «Technisch könnte das Fahren im Konvoy innerhalb von zehn Jahren zur Marktreife gebracht werden» meinte die Volvo-Projektleiterin Linda Wahlström schon 2012.

Und trotzdem ist mit einer Einführung dieses Systems in naher Zukunft nicht zu rechnen. Das Fahren im Konvoi verlangt viel an Umdenken, juristisch zum Beispiel: Die aktuellen Verkehrsgesetze, die auf dem Wiener Abkommen vom 1968 basieren, machen den Lenker verantwortlich. Und verlangen von ihm, dass er immer die Kontrolle über das Fahrzeug behält: SMS schreiben am Steuer – heute undenkbar. Auch wirtschaftliche Fragen gilt es zu klären: Wie soll zum Beispiel der Chauffeur entschädigt werden, der den Konvoi anführt?

Dazu kommt, dass diese Art der Fortbewegung ihr volles Potenzial erst in einem Netzwerk entfaltet. Das heisst: Je mehr Verkehrsteilnehmer über ein Konvoi-System verfügen, desto nützlicher und effizienter wird es für alle. Doch dieser Effekt bremst gleichzeitig die Einführung: Die Motivation, in ein solches System, ist anfangs gering, weil auch der Nutzen gering ist.

Und in der Schweiz?

Grundsätzlich offen gegenüber technischen Neuerungen zeigt sich die Nutzfahrzeug-Branche in der Schweiz. Ulrich Giezendanner, Transport-Unternehmer aus dem Aargau, verfolgt die Entwicklung des Konvoi-Fahrens mit Interesse.

Doch er sieht nur einen begrenzten Nutzen für die kleinräumige Schweiz, wo nur kurze Distanzen gefahren werden und Autobahnen nicht durchgängig dreispurig sind (Interview mit Giezendanner links).

Auch Michael Gehrken, Direktor des Nutzfahrzeugverbandes Astag, verfolgt die technologische Entwicklung interessiert. Doch beim Konvoi-Fahren ist auch er skeptisch und sieht Nachteile: Er fürchtet beispielsweise, dass lange Fahrzeugketten zum Problem für andere Verkehrsteilnehmer werden könnten, wenn diese das Einspuren bei einer Autobahn-Einfahrt erschweren.

Den Nutzen der kommenden Technologien sieht er vor allem bei der Sicherheit und im Umweltschutz. «Wenn wir uns in 25 Jahren wieder unterhalten», sagt er, «dann werden wir sicherlich staunen, was sich in der Zwischenzeit diesbezüglich alles geändert hat.»

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