Das Thema im Radio
In diesen Tagen erhalten gut 700'000 Stimmbürgerinnen des Kantons Bern ihre Stimmunterlagen. Im Vergleich mit anderen Kantonen ist das spät, dafür ist der Inhalt umso gewichtiger. Fast ein halbes Kilo wiegt er, nicht ganz 2 Zentimeter dick ist das Bündel Papier und entgeht so knapp einer Taxierung als teures Paket.
Ein Grossteil des Gewichts verursacht der Spam, die Werbe-Flyer und Broschüren der Parteien und Kandidaten. Abstimmen im digitalen Zeitalter müsste eigentlich anders aussehen. Immerhin: Es gibt Privilegierte, die das Papier gleich entsorgen und elektronisch abstimmen können. Es sind die Auslandschweizer der Kantone Luzern, Basel Stadt, Genf und Neuenburg. Papier kriegen sie allerdings immer noch – aber immerhin können sie wählen, auf welche Art sie abstimmen möchten. Andere konnten es: Die Auslandschweizer der 9 östlicheren Kantone inklusiv Zürich konnten elektronisch ihre Stimmen abgeben auf der Plattform des «Consortium vote électronique» – aber der Bundesrat zweifelte an der Sicherheit des Systems und hat den Kantonen den Weiterbetrieb verboten.
Ein Übungsabbruch mit Misstönen
Das Projekt scheiterte an den verschärften Sicherheitsvorschriften, die der Bund anfangs 2014 für elektronische Abstimmungssysteme definiert hatte und wurde vor wenigen Tagen definitiv beerdigt . Die zugehörige Website läuft noch, gibt sich aber wortkarg. Das Konsortium ebenfalls.
Sein Leiter, Thomas Wehrli schreibt in einer E-Mail: «Ich bedaure, dass wir von unserer Seite her leider nicht für Hintergrundinformationen in dieser Sache zur Verfügung stehen können». Der Präsident, der Aargauer Staatskanzler Peter Grünenfelder, warf dem Bund in einem Interview eine gewisse Pingeligkeit vor: «Die Bundeskanzlei hat alles versucht, um in unserem System Fehler zu finden, statt uns zu helfen, sie zu beheben. Schliesslich haben wir das System bereits 18 Mal erfolgreich bei Abstimmungen angewendet.»
Ist E-Voting in der Schweiz nun am Ende?
Das ursprüngliche Ziel, bis zu den Wahlen 2015 90% der Auslandschweizerinnen und -schweizer per Internet abstimmen lassen zu können, ist damit verfehlt. Nur noch die Systeme von Genf (mit BS/LU/BE) und Neuenburg sind im Einsatz (siehe Box).
Nun aber davon zu sprechen, dass E-Voting am Ende ist, wäre zu weit gegriffen. Im Gegenteil: Der Vorfall habe durchaus etwas positives. Er zeige, dass der Bund keine Kompromisse eingehe und es ernst meine mit den Sicherheitsrichtlinien für E-Voting und möglichen Bedrohungen, meint Rolf Haenni, Professor an der Berner Fachhochschule Biel und Leiter der dortigen E-Voting-Gruppe .
E-Voting: Ein unterschätztes Thema
Elektronisches Abstimmen sei eines der spannendsten Themen – aber auch eines, das viele in den letzten Jahren massiv unterschätzt hätten, sagt Haenni. «Lass uns mal schnell eine E-Voting-Plattform bauen» – dieses Motto funktioniere hier nicht. E-Voting sei um ein Vielfaches schwieriger und komplexer als zum Beispiel E-Banking.
Wenn bei E-Banking etwas schief geht, betrifft es nur mich. Bei E-Voting betrifft es alle und somit die Demokratie.
E-Voting ist so komplex, weil zwei Anforderungen direkt kollidieren. Auf der einen Seite muss es sicher sein, zuverlässig funktionieren und geschützt gegen Manipulationen sein, auf der anderen Seite muss es die Privatsphäre der Abstimmenden sicherstellen, damit das Wahlgeheimnis eingehalten wird.
Verifizierbarkeit: Das «A» und «O» beim E-Voting
Alle diese Sicherheitsansprüche bedingen «Verifizierbarkeit». Es geht einerseits darum, dass die Person, die abstimmt, überprüfen kann, ob ihre Stimme richtig übermittelt wurde (individuelle Verifizierbarkeit). Andererseits soll es für eine externe Stelle möglich sein, Manipulationen zu erkennen; also zu überprüfen, ob ein Wahlresultat stimmt, das publiziert wurde (universelle Verifizierbarkeit).
Die Aufgabe ist komplex, aber lösbar: mit kryptografischen Verfahren, die weit darüber hinausgehen, einfach nur Daten zu verschlüsseln. Die kryptografischen Technologien vollziehen quasi die Sicherheitsvorkehrungen, die es beim klassischen Abstimmungsverfahren gibt: beispielsweise das Schütteln einer Urne, um die Stimmausweise darin zu anonymisieren.
Wie weiter?
Beim «Consortium vote électronique» gibt es keinen Plan B. Es ist wenig realistisch, neben den zwei bestehenden Plattformen eine neue dritte zu entwickeln oder die beim Bund in «Ungnade» gefallene Plattform zu verbessern. Ob sich die Kantone noch einmal zusammeraufen können und wollen, ist mehr als fraglich. Alleingänge einzelner Kantone aus dem Konsortium sind aus Kostengründen schwer vorstellbar. Plausibel wäre, sich einem der beiden laufenden Systeme anzuschliessen. Glarus, Zürich und Aargau haben bereits angekündigt, diesen Schritt «zu überprüfen».
Am Schluss könnte aber ausgerechnet jene Firma als Gewinnerin aus den derzeitigen E-Voting-Diskussionen herausgehen, die heute die Abstimmungscouverts verschickt: die Schweizer Post. Pionier Neuenburg wird ab 2016 eine Software einsetzen, welche die Post anbietet. Es ist eine Lösung der spanischen Firma Scytl.
Unter Experten wie Rolf Haenni gilt die spanische Firma zwar als weltweit führend im Bereich E-Voting. Im Parlament wird das aber zu Diskussionen führen: Eine Motion von CVP-Präsident Christophe Darbelay verlangt, dass die eingesetzte Software ausschliesslich der öffentlichen Hand gehört. Die Lösung der Post könnte das nicht erfüllen, die des Kantons Genf schon. Letztere wird auch von SP-Präsident Christian Levrat unterstützt .
Beim Bund nimmt man diese Komplikationen gelassen. Man wiederholt das seit Jahren geäusserte Mantra «Sicherheit vor Tempo». Der Zusammenbruch des Konsortiums ist aus dieser Sicht nicht ein Rückschlag, sondern ein notwendiger Zwischenhalt.