Im Browser-Game « Tabula Rasa » sehe ich vor mir die Schweiz mit ihrer ganzen Infrastruktur: Eine Schule hier, ein Spital da, verschiedene Kraftwerke, Strassen, eine Eisenbahn und so weiter. Indikatoren zeigen die Lage an: Wie läuft die Wirtschaft? Sind die Menschen zufrieden? Was ist mit den Finanzen?
Was passiert, wenn ich ...?
In diese Welt kann ich nun eingreifen. Ein Klick auf eine Schule, schon habe ich Zugang zu den verschiedenen Parametern des Bildungswesens und kann sie nach Herzenslust verändern: Mehr Geld für die Volksschule, viel weniger für die Universitäten. Die Zahlen, mit denen das Spiel rechnet, stammen aus offiziellen Quellen und entsprechen der Realität.
So kann ich nun schalten und walten, wie mir beliebt. Doch das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Land; auf die Finanzen etwa oder die Zufriedenheit der Menschen.
Politik ist langsam
Im Game habe ich die Aufgabe, das Schicksal der Schweiz während der nächsten 70 Jahre zu gestalten. Jedes Jahr darf ich drei Parameter verändern. Dabei muss ich die Lage im Auge behalten, denn wer will schon frustrierte Bürger oder Schulden in seinem Land?
Dann also los – ganz vorsichtig: erst einmal Steuern rauf, Pensionsalter auch, nur ja kein Defizit verursachen.
Zuerst passiert nichts. Nach ein paar Jahren laufen die Finanzen dann doch noch aus dem Ruder. Doch dann bringen auch weitere Erhöhungen der Steuern nichts mehr. Die Schweiz im Game reagiert träge. Das frustriert. Offenbar kann ich die Indikatoren mit einzelnen Massnahmen nicht gezielt verändern.
Dieser Trägheit aber ist von den Machern gewollt. «Viele politische Massnahmen wirken erst mit einer Verzögerung» meint der Radio-Journalist Nicolae Schiau, der «Tabula Rasa» mitentworfen hat. Ihm ist es wichtig, dass man diese Trägheit im Game erleben kann.
Kein kommerzielles Game
In wenigen Monaten haben Schiau und seine Kollegen mit grossem Engagement und kleinem Budget «Tabula Rasa» entwickelt. Das Game kann deshalb mit kommerziellen Titeln wie «SimCity» in keiner Weise mithalten, weder grafisch noch qualitativ. Die Macher hatten andere Ziele.
Sie wollten im Wahljahr die Generation der 18- bis 30-Jährigen ansprechen, die bei der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative den Urnen in grosser Zahl fern blieben. Statt mit traditionelle Formen wie Text oder Video wollten sie dieser Generation politische Inhalte über ein Game vermitteln. Gleichzeitig ist Nicolae Schiau auch überzeugt, dass Games dem Journalismus ganze neue Möglichkeiten eröffnen.
Was bewegt die Jungen?
Schiau möchte nämlich nicht nur das Zielpublikum ansprechen. Er möchte auch den Politikern zeigen, was die Teilnehmer beschäftigt. Denn dank «Tabula Rasa» weiss er, wie diese entscheiden würden. Ein verbreitetes Muster: «Viele schliessen zuerst die Grenzen und schaffen dann die AKWs ab», so der Journalist.
Dabei ist klar: «Tabula Rasa» kann die Auswirkungen drastischer Massnahmen nicht vorausberechnen. Schon bei einfacheren Fragen stossen Computer an ihre Grenzen: Die Auswirkungen der Erhöhung des Rentenalters um ein Jahr auf 66 lassen sich noch ziemlich genau berechnen. Sind es 15 Jahre mehr, so wird die Berechnug zu komplex, denn das brächte erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschat mit sich.
Weder Simulatoren noch Politiker können also die Zukunft voraussagen. Auch eine wichtige Erkenntnis aus «Tabula Rasa».