Mit der Whisper-App kann man anonym einen kurzen Text veröffentlichen, zusammen mit einem Symbolbild. Die Software entscheidet dann, bei welchen Nutzern diese Nachricht angezeigt wird. Ein Kriterium: Der Aufenthaltsort des Autors und der potenziellen Leser. Jeder Teilnehmer kann auf eine Nachricht antworten, die entweder für alle einsehbar oder direkt an den Autor gerichtet ist. Der Verfasser der Antwort bleibt ebenfalls anonym.
Unterstützung durch das Netzwerk
Rund um Whisper haben sich verschiedene Gemeinschaften gebildet, für die Anonymität wichtig ist. College-Studentinnen mit Esstörungen gehören ebenso dazu wie Homosexuelle oder Angehörige der Armee – vor allem der US-amerikanischen aber nicht nur. Ein Dutzend israelische Frontsoldaten benutzt die App ebenfalls. Auch Angestellte von prominenten Firmen äussern sich über Whisper, wenn sie Probleme am Arbeitsplatz diskutieren wollen.
Die App listet die Nachrichten nach Zeit, Ort oder in Rubriken auf, dazu gehören Kategorien wie «Drogen und Alkohol», «Eltern» oder «Liebe und Romantik». Ein eigenes Genre sind Nachrichten, die von sexuellen Abenteuern berichten. Die Motivation zu diesen Geständnissen ist nicht so klar: Das schlechte Gewissen loswerden, reiner Exibitionismus oder blosse Spielerei?
Fundgrube für Stories
Zahlreiche Whisper-Nachrichten erinnern an Boulevardgeschichten oder an die reisserischen Kurzmitteilungen, wie man sie auf News-Seiten wie BuzzFeed findet. Dessen sind sich auch die Macher der App bewusst: Sie sind sogar eine Zusammenarbeit mit «BuzzFeed» eingegangen – anonyme Geständnisse werden so zu Boulevardgeschichten.
Doch auch seriöse Medien haben Whisper als Quelle entdeckt. Die britische Zeitung «The Guardian» schreibt, dass sie über das anonyme soziale Netzwerk nach Soldaten gesucht hat, die im Irak stationiert sind, um über deren Erfahrungen mit dem IS zu berichten.
Anonymität vorgaukeln
«The Guardian» wollte die Zusammenarbeit mit Whisper noch ausbauen und schickte deshalb kürzlich zwei Reporter nach Kaliforniern. Diese staunten nicht schlecht, als sie sahen, mit welcher Nonchalance Whisper-Angestellte intern Software-Tools nutzen, um angeblich anonyme Teilnehmer zu orten und gezielt zu verfolgen.
Das ist brisant, denn über den Ort kann Whisper Rückschlüsse ziehen, wo jemand arbeitet. Schockierend für die Briten war zudem die Tatsache, dass Whisper auch dann noch versucht hat, den Aufenthaltsort zu eruieren, wenn die Nutzer ihre GPS-Daten ausdrücklich nicht zur Verfügung stellen wollten. Whisper schliesst in solchen Fällen von der IP-Adresse des Handys auf den Ort. Diese Methode ist zwar nicht annähernd so genau wie die GPS-Daten aus dem Smartphone, aber präzise genug, um nachzuvollziehen, wann sich ein Soldat in Afghanistan aufhält und wann er zurück ist in der Kaserne in Kansas.
Die britische Zeitung erhebt noch weitere Vorwürfe an Whisper:
- Unbegrenztes Sammeln und Speichern von Nutzerdaten auch gegen deren Willen
- Weitergabe von Daten an die Geheimdienste NSA und MI5
- Keine ernsthafte Absicht, die Anonymität der Nutzer tatsächlich zu wahren; stattdessen hat Whisper einfach die allgemeinen Geschäftsbedingungen umgeschrieben
«The Guardian» verzichtet nun auf eine Zusammenarbeit mit Whisper und auch die News-Seite «BuzzFeed» hat die Kooperation bis auf weiteres gestoppt.