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Ein Mann kotzt einen Regenbogen, der mit Sponsoren-Logos verziert ist. Es ist nicht schön.
Legende: OMG, ist das die Werbung der Zukunft? Den Regenbogen kann Snapchat schon; die Sponsoren haben wir frei erfunden. Als Beispiel, wie man es besser nicht macht. Montage SRF

Digital Halloween-Maske oder Hut vom Sponsor: Neue Werbeform in Snapchat

Vor allem junge Internet-Nutzerinnen und Nutzer setzen vermehrt Werbeblocker ein. Die Werbeindustrie sucht deshalb neue Wege, beispielsweise gesponserte Halloween-Masken in Snapchat. So soll das Publikum wieder erreicht werden. Und es verschiebt die Kontrolle innerhalb der Werbeindustrie.

Gratis-Inhalt gegen Werbung – das ist nach wie vor das wichtigste Geschäftsmodell im Internet. Doch gerade jüngere Nutzerinnen und Nutzer entziehen sich diesem Tauschhandel. Rund die Hälfte der unter 30-Jährigen installieren sogenannte Adblocker. Sie blenden damit Werbung bei sich aus.

Mit der Veröffentlichung von iOS 9 erhielten Werbeblocker auch auf Apple-Smartphones einen Schub – wir haben berichtet .

Das Phänomen, das sich zunächst vor allem auf Desktops verbreitete, ist damit definitiv auch auf mobilen Geräten angekommen (unter Android gibt es Werbeblocker schon länger). Zwischenzeitlich waren Werbeblocker für iOS zuoberst auf den Download-Ranglisten.

Die Aufregung hat sich mittlerweile etwas gelegt – Werbeblocker sind wieder aus den Download-Top-10 gerutscht . Der besonders erfolgreiche Blocker «Peace» wurde gar vom Entwickler wieder zurückgezogen. Ihn hatte das schlechte Gewissen gepackt , weil der Blocker keine Differenzierung zwischen «guter» und «schlechter» Werbung zuliess und damit auch Werbenetzwerke traf, die versuchen, Privatsphäre, Zeit und Aufmerksamkeit der Konsumenten zu achten.

Für oder gegen Werbeblocker – eine komplexe Diskussion

Das zeigt, wie komplex diese Diskussion ist. Die Herstellung von Inhalten über Werbung zu finanzieren ist ein bewährtes Modell, das wohl nur von einer Minderheit grundsätzlich abgelehnt wird. Doch Werbung macht alles langsamer – besonders auf Mobilgeräten mit langsameren Netzen und beschränkten Daten-Abos fällt das ins Gewicht. Nicht selten werden pro Seite mehr Daten für Werbung transferiert als für den eigentlichen Inhalt; die «New York Times» hat das soeben ausführlich aufgelistet .

Dazu kommt die Sorge um Sicherheit – Werbe-Netzwerke werden immer wieder für Angriffe missbraucht, indem als Werbung getarnte Schadsoftware eingeschmuggelt wird.

Und schliesslich schwappt die Werbung aus den Bannern heraus. Sie bewegt sich, ist laut oder überlagert seitenfüllend den eigentlichen Inhalt. Das funktioniert – aufdringliche Werbung wird mehr gesehen und mehr geklickt. Entsprechend ist sie teurer und beschert denjenigen, die sie schalten, mehr Umsatz. Doch mindestens ein Teil der Nutzer entzieht sich der Beschallung durch dieses Wettrüsten und zieht per Werbeblocker den Stecker.

Damit wird die Werbeindustrie gezwungen, sich neue Wege zu überlegen, wie sie ihr Zielpublikum erreichen kann. Ein Beispiel dafür bahnt sich bei Snapchat an. Die Video-Chat-App ist bei den unter 30-Jährigen beliebt, also genau in der Zielgruppe, die besonders gerne Werbung blockiert.

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Laut der «Financial Times» soll Snapchat bald «sponsored lenses» einführen. «Lenses» ist eine Funktion, die Snapchat gerade erst eingebaut hat. Wir schauen dazu in die Smartphone-Kamera, die App erkennt das Gesicht automatisch. Danach können wir das Selfie fidel verändern: beispielsweise mit pulsierenden Herzen anstelle der Augen oder einem Regenbogen, der aus dem geöffneten Mund fliesst.

Diese Funktion will Snapchat laut «Financial Times» nun an Sponsoren verkaufen. Zu Halloween beispielsweise könnte ein Unternehmen, das Süssigkeiten herstellt, eine gruslige Maske oder einen lustigen Hut mit ihrer Marke verknüpfen. Wenn das nicht allzu plump, dafür umso witziger daher kommt, könnte das von den Teenies freudig genutzt werden: gesponserte Maske aufsetzen, rumalbern, das Selfie-Video den Freunden schicken.

Lukrative Deals

Es gibt keine bestätigten Zahlen, was das ein Unternehmen kosten soll. Die «Financial Times» nennt bis zu 750’000 Dollar pro Tag, wenn es sich um ein Datum mit viel Chat-Verkehr handelt, wie Halloween, Weihnachten oder Sylvester.

Dafür kann ein Sponsor dann aber auch das ganze Snapchat-Publikum erreichen, 100 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer – täglich.

Natürlich ist das Aushandeln eines solchen Deals aufwändig für Snapchat. Doch es könnte deutlich lukrativer sein, als mit unzähligen einzelnen Bannern mühsam einzelne Cents zusammen zu kratzen.

Kontrolle über Inhalt, Form und Umsatz

Auch klar ist, dass nur grosse Plattformen diesen Aufwand betreiben können und überhaupt für Werber attraktiv genug sind. Snapchat, aber auch Facebook, Youtube oder Apple haben eigene Kanäle, auf denen sie direkt ihr eigenes Publikum ansprechen können. Sie brauchen dafür keine Mittelsmänner.

Im klassischen Banner-Modell ist Verkauf und Schalten von Werbung an grosse Werbe-Netzwerke wie Google AdSense delegiert. Und diese Netzwerke bestimmen, welche Werbung geschaltet wird und zwacken natürlich einen Teil des Umsatzes ab.

Unternehmen wie Snapchat versuchen nun, die Kontrolle zurück zu holen: über den Inhalt und die Form der Werbung. Und behalten dafür den gesamten Umsatz bei sich.

Diese Differenzierung der Werbeformen auf dem Internet ist im Gang; die Auswirkungen sind noch unklar. Das beste Szenario wäre: Internet-Werbung wird noch kreativer in Inhalt und Form. Sie erreicht ihr Publikum besser. Und sie bewahrt dank steigenden Umsätzen weiterhin Gratis-Inhalte.

Das schlechteste Szenario wäre dagegen: Die Grenze zwischen privaten, redaktionellen und bezahlten Inhalten verwischt noch mehr. Und die traditionellen Werbenetzwerke verlieren immer mehr gut zahlende Kunden, schreien noch lauter und implodieren in einem «Race to the Bottom».

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