Kein Moment ist zu unbedeutend, um im Bild festgehalten zu werden; kein Ereignis zu weit entfernt, um von einem Augenzeugen geknipst zu werden. Die Demokratisierung der Fotografie füllt nicht nur die privaten Fotoalben, sondern bedrängt auch den Berufsstand des Pressefotografen.
«Wir brauchen euch nicht mehr»
Dies war – etwas vereinfacht – die Botschaft, mit denen die US-amerikanische Tages-Zeitung «Chicago Sun Times» sämtlichen seiner 20 festangestellten Fotografen Ende Mai dieses Jahres gekündigt hat. Das Blatt mit einer halben Million Auflage will sich künftig hauptsächlich auf Fotos von Leserreportern und Bildagenturen stützen. Den Journalisten lässt die Chefredaktion ausserdem Crashkurse in Handyfotografie erteilen.
Der Schritt markiert eine Entwicklung, die von vielen Fotojournalisten mit Besorgnis beobachtet wird. Auch bei renommierten Tageszeitungen in der Schweiz fürchten sich einzelne Bildredaktionen vor der nächsten Sparrunde.
Qualität gegen Geschwindigkeit
Die Verlockung, dem Leserbild zu erliegen, das per Social Media sofort verfügbar ist und direkt vom Ort des Ereignisses stammt, kennt auch Peggy Knotz gut. Als Fotochefin der «Nordwestschweiz» und von «Schweiz am Sonntag» steckt sie täglich im Dilemma, dem Bedürfnis nach Qualität gerecht zu werden – aber auch der nötigen Geschwindigkeit.
Doch auch wenn ein Handyfoto gelegentlich seine Berechtigung habe, so die Expertin, dürfe das Amateur-Bild sich nicht als Standard durchsetzen. Nur die Erfahrung eines Pressefotografen mache ihn zu dem, was er sein soll: zu einem Chronisten unserer Zeit.
Es kann kein Qualitätsblatt geben ohne Qualitätsfotografie.
Bildagenturen spüren den Druck
Die Schweizer Bildagentur «Keystone» bedient Medienhäuser rund um die Welt mit ihren Fotos. Bilder, die von Amateuren direkt vom Ort des Geschehens getwittert werden, setzen der Agentur ebenso zu wie Verlage, die ihre Textredakteure zu Allround-Reportern mit Kamera ausbilden.
Den Journalisten im Keystone-Chef Jann Jenatsch freut es zwar, dass dank Leser- und Handybildern heute nichts mehr unsichtbar bleibt – doch dem Geschäftsmann Jenatsch macht die Entwicklung ernsthaft Sorgen. Der Menge an kostenlos verfügbaren Bildern, die unmittelbar vom Ort des Geschehens kommen, hat er kaum etwas entgegenzusetzen.
Und den Versuch, mit Amateur-und Handy-Fotografen rund um den Globus zusammenzuarbeiten, hat die Agentur wieder aufgeben müssen. Zu gross war der Aufwand, die Bilder zu kuratieren, die Spreu vom Weizen zu trennen. Trotzdem bleibt Jenatsch optimistisch für seine Zunft, auch wenn er sich bewusst ist, dass sie bereits mitten in einem schmerzhaften Prozess der Neuorientierung steckt.
Ich glaube an die professionelle Fotografie, weil es eine Sprache ist, die nicht alle können. Es können auch nicht alle schreiben, obwohl jeder SMS verfasst.
Fotografen müssen sich neu definieren
Die technologische Entwicklung hat seit jeher Berufsbilder verändert. So kann man es auch als positiven Trend deuten, dass die Arbeit des reinen Abbildens künftig an die breite Masse delegiert wird. Für das einfache Übermitteln eines Bilddokumentes bedarf es keines Fotoprofis mehr – davon ist auch Berufsfotograf Christian Dietrich aus Zürich überzeugt.
Dietrich ist der Meinung, dass sich sein Berufsstand weiterentwickeln muss, indem jeder Fotograf seine Autorenschaft, seine individuelle Handschrift noch mehr in den Mittelpunkt rückt. Dann habe er auch in Zukunft seinen Platz und seine Berechtigung.