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Digital Porträt-Fotografie: Ein Roboter kennt keine Höflichkeitsdistanz

Ein Industrie-Roboterarm bewegt eine Kamera, die sich dem Gesicht einer Person ohne Scham nähert und fast im Sekundentakt Fotos schiesst. Zwanzig Minuten lang. Der Fotograf Daniel Boschung baut daraus super-hochaufgelöste Porträts, die Gesichter zeigen, wie es sie im echten Leben gar nicht gibt.

Der Zürcher Fotograf Daniel Boschung lag nach einem Unfall im Spital. Ein Roboter drehte ihm gerade Schrauben in die Wirbelsäule – da kam ihm die Idee: Für Porträtsfotos könnte man doch ebenfalls einen Roboter einzusetzen.

Er kaufte sich für rund 20'000 Franken einen Occasion-Industrieroboter, der normalerweise Autos lackiert, stellte das Ungetüm in seinem Atelier auf, montierte eine digitale Spiegelreflexkamera auf den Arm und entwickelte eine eigene Software. So hat sich Boschung als klassischer Porträtfotograf selbst ersetzt: durch eine Maschine aus einer halben Tonne Stahl.

Der Fotograf als Maschinist

Klassische Porträtfotografie sei «Nahkampf», sagt Daniel Boschung, «mit dem Roboter hingegen bin ich Maschinist». Er muss nur noch am Computer in der speziellen Steuersoftware die Bereiche definieren, die der Roboterarm anfahren soll, den Start auslösen – und dann geht alles von alleine. Rund zwanzig Minuten lang bewegt der Roboterarm die Kamera millimeterweise von links nach rechts und zurück; näher ans Gesicht des Models heran und wieder weg. So entstehen hunderte Fotos, die Boschung anschliessend zusammensetzt. Das Resultat sind extrem detaillierte Aufnahmen, in die der Betrachter fast endlos hineinzoomen kann, ohne dass das Bild unscharf würde.

Das Bild zeigt ein Auge des Models.
Legende: Riesige Auflösung. Kein Detail kann sich verstecken. Reto Widmer / SRF

Die Porträts zeigen Hautunreinheiten, jede Haarwurzel ist sichtbar, auch das Tränenwasser, das sich unten in den Augen der Models sammelt oder kleine Fetzchen eines abblätternden Make-Ups. Wirklich vorteilhaft sind die Aufnahmen selten - oft erinnern sie gar an Polizei-Fotos.

Selfie ohne Mimik

Da stellt sich die Frage, wieso sich jemand die Tortur antun soll: Zwanzig Minuten in Starre auf einem eher unbequemen alten Zahnarztstuhl zu sitzen, permanent ein bedrohliches Objektiv im Gesicht, gesteuert von einem Roboter, der sich dank eines Totmannschalters nicht verselbständigen sollte. Daniel Boschung sagt: «Gegenüber all den Handyknipsereien hat man danach ein Dokument von sich, das eindeutig ist und unverwechselbar – und dank der riesigen Auflösung wäre man in der Lage, sich selber exakt nachzubauen.»

Eine Art superhochaufgelöstes Selfie also, wenn auch roboter-generiert.

Daniel Wagner sitzt auf einem Stuhl, wird von allen Seiten beleuchtet - vor ihm der Roboterarm mit der darauf montierten Kamera.
Legende: Ausgeleuchtet und avisiert: Model Daniel Wagner muss nun mindestens eine Viertelstunde lang ruhig sitzen. Reto Widmer / SRF

Dadurch, dass die Model gezwungen sind, so lange still zu sitzen, wirkt das Schlussresultat, das Gesicht, unnatürlich, ohne jegliche Mimik, «es ist der Archetyp des Gesicht, die Grundlage aller Mimiken, die Nullmaske eines Gesichts». Boschung zeigt Gesichter wie sie in Echt niemals zu sehen sind.

Das irritiert die Porträtierten – ihre Reaktionen interessieren und faszinieren Daniel Boschung. Es ist für sie jedes Mal ein ungewohnter Moment, weil das Gesicht keine Botschaft ausstrahlt.

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