Reto Helbling ist ernüchtert: «Sucht man für die Schüler im iTunes Store nach einer Lern-App für die Rechtschreibung, so findet man für den deutschen Sprachraum kaum etwas Brauchbares. Noch schwieriger wird es für die deutsche Schweiz», meint der Informatik-Lehrer. Zurzeit beobachtet er eine grosse Zurückhaltung bei den Lehrmittel-Verlagen: «Die Branche wartet ab, welche technische Plattform sich wohl durchsetzen wird und bis das klar ist, will kein Verlag investieren». In der Schweiz trage die geplante Bildungs-Harmonisierung zwischen den Kantonen noch zusätzlich zur Unsicherheit bei.
Die eigene App entwerfen
Doch statt zuzuwarten wie alle anderen, ergreift Helbling die Initiative. Er entwirft zusammen mit seinen Schülerinnen eine App zum Einüben von Wörtern – das Vokabular aus der Französisch-Stunde, oder die falsch geschriebenen Wörter aus dem Deutsch-Diktat. Von Anfang an durften die etwa 50 Schüler mitreden. Sie wurden gefragt, wie oft sie ein Wort wiederholen müssen, bis sie es können: Ganze zehn Mal meinen die Kinder zu Helblings Erstaunen.
Fabian aus der achten Klasse, zu Hause ein erfahrener Gamer, war von Anfang an mit dabei. Er hat sich eine Lern-App vorgestellt, die ihn am Schluss einer Übung mit einem Spiel belohnt. Doch diesen Wunsch konnte Helbling nicht berücksichtig. Für ihn war Effizienz zentral: Eine App in einem klaren, eleganten Design und keine verspielte Fantasy-Welt. Die verführt seiner Meinung nicht zum Lernen sondern lenkt, im Gegenteil, davon ab.
Das Diktat 2.0 und mehr
Zusammen mit der Firma Pappy, die bereits Erfahrung im Design von Lern-Apps für Kinder hat, macht sich Helbling an die Umsetzung der Ideen. Es ist ein Geben und Nehmen: Die Kinder und Lehrer steuern das Fachwissen bei, die App-Spezialisten ihre Erfahrung im Design und der Umsetzung. Die Kosten für die Entwicklung teilen sich die Privatschule und die Design-Firma, programmiert wird die App in Indien. Vergangenen Sommer dann die Test-Phase mit den Schülern. Auch hier zeigt sich, dass Jugendliche andere Prioritäten haben und Fehler finden, die den Erwachsenen entgehen. Etwa: Wie kann ich mich durchmogeln, ohne wirklich zu lernen?
Und so funktioniert die fertige Rechtschreib-App Wörter-Profi : Ein Schüler muss zuerst die Wörter erfassen, die er lernen möchte, dann kann er diese Wörter trainieren. Acht verschiedene Übungsarten stehen zur Verfügung, vom Abschreiben einer Vorlage in Spiegelschrift über ein Buchstaben-Durcheinander, das wieder geordnet werden muss bis zum Diktat eines Wortes, das vorher selbst vorgelesen und aufgezeichnet wurde. Ein Punkte-System soll die Schüler zusätzlich motivieren.
Obwohl die App nicht viel mit einem Game gemein hat, ist Fabian mit dem Resultat zufrieden – bis auf die blaue Hintergrundfarbe, die möchte er unbedingt ändern können und mit diesem Wunsch ist er nicht allein. Jugendliche haben eben ganz andere Prioritäten als Erwachsene.
Das iPad verändert den Unterricht
Cindy aus der sechsten Klasse verwendet als Hintergrundbild für ihr Tablet ein Foto von ihrem Kuscheltier, das sie selbst mit der iPad-Kamera gemacht hat. Das ist aber auch das einzige persönliche auf ihrem Tablet-Computer, den sie täglich verwendet. Die Jugendlichen haben keinen Zugriff auf den App-Store, nur Lehrer können Apps installieren. Was auf die Geräte kommt, bestimmt die Schule und das sind Apps, die die Schüler beim Lernen unterstützen sollen wie die Duden-App.
Nicht nur wegen der Lern-Apps schätzen immer mehr Lehrer den Einsatz der Tablets: «Sie sind so vielseitig einsetzbar, dass man den Unterricht teilweise überdenken muss» meint Reto Helbling. Die Tablets ersetzen nicht nur Schulbücher, sie dienen auch als Editor für Präsentationen, in denen die Jugendlichen selbst gedrehte Videos einbinden. Vorbei sind auch die Zeiten, als der Lehrer noch Lösungen für die Rechenaufgaben kopiert und verteilt hat, oder als die Schüler die Hausaufgaben ins Aufgaben-Heft notierten. In beiden Fällen machen die Jugendlichen heute einfach ein Foto von der Vorlage mit dem Tablet-Computer.
Tablets auch an öffentlichen Schulen
«Die Kosten für die Geräte liegen im Rahmen des IT-Budgets für eine Schule», meint Reto Helbling, es komme drauf an, wie man die Prioritäten setze. Wie hoch dieses Budget an öffentlichen Schulen ist, hängt stark von den finanziellen Verhältnissen der Gemeinde ab.
Trotz Anschaffungskosten sind Tablet-Computer auch an öffentlichen Schulen durchaus ein Thema. Pionierarbeit leistet der Kanton Solothurn, wo seit etwas mehr als einem Jahr zwölf Schulklassen aus allen Altersstufen im Rahmen einer Studie mit Tablets im Unterricht arbeiten. Denn auch an öffentlichen Schulen hat man erkannt, wie gross das Potenzial der tragbaren Computer ist: Sie sind handlich, robust und dank Touch-Screen können selbst die kleinen Analphabeten aus der ersten Klasse mit den Geräten interagieren. Bleibt zu hoffen, dass auch die grossen Verlage die Zeichen der Zeit erkennen und in Lernsoftware für die praktischen Geräte investieren.