Das Auto der Swisscom ist in Zürich nur auf einer kurzen Strecke unterwegs: Vom Turbinenplatz im Kreis 5 bis zum Hauptbahnhof und wieder zurück. Trotzdem war dafür eine Ausnahmebewilligung des Departements für Uwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) nötig. Denn ohne diese Erlaubnis hätte der Fahrer während des Pilotversuchs seine Hände nicht vom Lenkrad nehmen dürfen.
11 Unfälle auf 1 Million Kilometer
«Ich denke, das ist der erste einer ganzen Reihe solcher Versuche, die es in nächster Zeit geben wird», sagt Thomas Rohrbach, Sprecher des Bundesamts für Strassen (Astra). Die Tests in der Schweiz sollen Erkenntnisse darüber bringen, wie autonom fahrende Autos den Alltagsverkehr meistern.
Im Ausland ist man da bereits weiter. Dort sind solche Versuchsfahrzeuge auf Teststrecken und teilweise auch im gewöhnlichen Strassenverkehr schon länger unterwegs. In den USA etwa hat Google seine Flotte von mehr als 20 selbstfahrenden Autos bereits über 1 Million Strassenkilometer zurücklegen lassen.
Jüngst veröffentlichte das Unternehmen die Unfallzahlen dieses Versuchs: In den sechs Jahren, die das Experiment nun dauert, habe es lediglich elf leichte Unfälle gegeben und bei keinem davon habe die Schuld beim selbstfahrenden Auto gelegen.
Ein neues Regelwerk muss her
Doch die grössten Hürden für den künftigen Einsatz solcher Fahrzeuge sind nicht technischer Natur, sondern liegen in rechtlichen und ethischen Fragen. So ist etwa nicht geklärt, wer bei einem Unfall im selbstfahrenden Modus für den Schaden geradestehen muss. Der Fahrer des Autos? Der Autobauer? Oder etwa das Auto selbst, also der Steuerungs-Algorithmus, der es lenkt?
Um solche Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen, musste die Swisscom vor ihrem aktuellen Versuch eine Haftpflichtversicherung mit einer Deckung von 100 Millionen Euro abschliessen.
«Im Moment ist es auch noch gar nicht nötig, alle juristischen Fragen bis ins Detail zu klären», sagt Thomas Rohrbach. Denn er schätzt, dass in den nächsten 10 bis 20 Jahren noch keine selbstfahrenden Autos auf Schweizer Strassen unterwegs sein werden. Und die Schweiz werde auch dann nicht einfach im Alleingang neue Gesetze beschliessen, sondern gemeinsame Regeln zusammen mit anderen Staaten finden müssen.
Dreh und Angelpunkt für den europäischen Verkehr ist dabei das Wiener Übereinkommen von 1968. Es regelt die Verantwortung beim Fahren eines Autos. Heute liegt sie noch allein beim Menschen. Der muss jederzeit die Kontrolle über sein Fahrzeug haben und darf deshalb auch seine Hände nicht vom Lenkrad nehmen. Damit Autos autonom fahren können und der Mensch sich derweil zurücklehnen kann, muss zuerst dieses Übereinkommen angepasst werden.
Welches Auto ist das bessere «Ziel»?
Abseits vom juristischen Regelwerk wirft die neue Technik auch spannende ethische und philosophische Fragen auf. Wie soll der Fahrzeug-Algorithmus entscheiden, wenn sich ein Unfall nicht vermeiden lässt? Etwa wenn er vor der Alternative steht entweder nach links auszuweichen und dort ein Auto zu rammen. Oder nach rechts, und dort in ein anderes Auto zu krachen.
Der Bordcomputer, dessen Kameras und Sensoren ihn mit allen möglichen Daten zur Verkehrslage versorgen, würde sich wohl für die Kollision entscheiden, bei der am wenigsten Schaden entsteht. Also lieber eine gut gepolsterte Limousine rammen statt eines Kleinwagens, dessen Insassen beim Aufprall eher verletzt würden. Bloss hätten die Hersteller und Besitzer von gut geschützten Fahrzeugen wenig Freude daran, plötzlich auf der «Abschussliste» solcher Algorithmen zu stehen.
Soll der Computer dumm sein?
Dasselbe Problem stellt sich auch, wenn der Algorithmus vor der Wahl steht, entweder einen Velofahrer mit Helm oder einen ohne zu rammen. Die logische Entscheidung wäre, den Helmträger umzufahren – in der Hoffnung, dass sein Kopfschutz schlimmere Verletzungen verhindert. Damit würden aber genau die Velofahrer bestraft, die sich besser schützen als andere.
In Unfallsituationen steht der Bordcomputer also regelmässig vor einer Art Trolley-Problem . Einige Experten wollen es dadurch lösen, dass der Ausweich-Entscheid durch einen Zufallsgenerator gesteuert wird. So wie auch menschliches Handeln in Stress-Situationen eher durch Glück und Zufall gesteuert ist. Andere schlagen vor, die Sensoren des Computers sollten Informationen etwa zum Kopfschutz eines Velofahrers oder zur Marke eines Autos gar nicht erst sammeln.
Den Algorithmus auf diese Art künstlich «dümmer» zu machen, verträgt sich aber schlecht mit dem Versprechen, selbstfahrende Autos seien die aufmerksameren Verkehrsteilnehmer als Menschen.
Die ungeklärte Schuldfrage
Und damit nicht genug der ethischen Dilemmata: Wessen Sicherheit stellt der Algorithmus in den Vordergrund? Die der anderen Verkehrsteilnehmer oder die des eigenen Fahrers? Wäre letzteres der Fall, würde er das Auto im Notfall wohl lieber in einen Menschen fahren als in eine Wand oder über einen Abgrund. Wäre das dann eine vorsätzliche Tötung? Und wieder die Frage: Müsste dafür der Autofahrer büssen, der Hersteller des Autos oder gar der Algorithmus selbst?
Auf solche Fragen fehlt nicht nur in der Schweiz eine Antwort. Die Fachleute des Astra tauschen sich dazu mit Experten aus anderen Ländern aus. Bis schliesslich allgemeingültige Regeln gefunden sind, wird es noch einige Jahre dauern. Davon ist auch Thomas Rohrbach vom Bundesamt für Strassen überzeugt. «Ich werde dann wohl pensioniert sein», sagt er. Und fügt lachend hinzu: «Und ich habe noch gut 20 Jahre bis zur Pensionierung.»