Die Idee war gut: Clippy sollte den Benutzern von Microsoft Office mit Rat und Tat, mit Tipps und Tricks zur Seite stehen. Das Büroprogramm sollte seine vielen Funktionen mit Hilfe eines virtuellen Assistenten also gleich selbst erklären.
Doch die Umsetzung liess zu wünschen übrig: Clippy – Deutsch auch unter dem Namen Karl Klammer bekannt – tauchte stets dann auf, wenn man ihn am wenigsten brauchte und gab unsinnige Antworten auf nie gestellte Fragen.
Ratgeber-Ressorts von Computerzeitschriften sollen bald von Fragen überschwemmt worden sein, wie sich die lästige Klammer beseitigen lasse. Noch heute hat Clippy den wenig schmeichelhaften Ruf, eines der schlimmsten User Interfaces zu sein, das jemals auf die Menschheit losgelassen wurde.
Auch bei Microsoft selbst waren längst nicht alle von Clippy begeistert. Intern soll die Briefklammer den Codenamen TFC getragen haben – kurz für «That Fucking Clown». Schon beim 2001 eingeführten Office XP wurde Clippy standardmässig wieder deaktiviert. Und in Werbekampagnen führte Microsoft die Abwesenheit des aufdringlichen Helfers sogar als Zeichen für die erhöhte Benutzerfreundlichkeit von Office XP ins Feld.
Bei Microsoft Office 2007, das am 30. Januar 2007 auf den Markt kam, gab es dann gar keinen Clippy mehr. Im kulturellen Gedächtnis ist Clippy aber fest verankert (verklammert?) geblieben. Sei es als Meme , als Buzzfeed-Liste oder als Halloween-Kostüm . Und selbst als Inspiration für eine erotische Kurzgeschichte musste Clippy schon herhalten.
Frauen fühlten sich belästigt
Bei der Entwicklung der vermeintlich hilfreichen Briefklammer hatte sich Microsoft von den Forschungsergebnissen von Clifford Nass und Byron Reeves leiten lassen. Die beiden Kommunikationswissenschaftler der Universität Stanford gingen davon aus, Menschen würden den Computer unterbewusst als sozialen Akteur behandeln, also wie einen anderen Menschen. Deshalb erwarteten die Benutzer, dass der Computer auch bestimmten sozialen Regeln folgt.
Mit Clippy wollte Microsoft ein Hilfsprogramm schaffen, das genau diesen Erwartungen entsprach. Doch statt soziale Regeln zu befolgen, verstiess die impertinente Briefklammer gleich dutzendfach gegen sie: Sie drängte ungefragt ihre Meinung auf, unterbrach mit ihrer aufdringlichen Art die Konzentration und beobachtete die Benutzer lauernd aus der Ecke heraus.
Schon frühen Testgruppen war das zu viel. Frauen sollen sich von der glotzenden Klammer gar belästigt gefühlt haben. Leider hörten die männlichen Microsoft-Ingenieure nicht auf sie und nahmen keine Änderungen vor.
Der Bot-Father
Nachträglich ist klar, dass Microsoft Office wohl der falsche Ort für einen Chatbot wie Clippy war – für einen Helfer, der nicht schlau genug war, um wirklich hilfreich zu sein und dessen Reiz sich nach einmaliger Benutzung schon erschöpft hatte.
Doch seither haben solche Bots grosse Fortschritte gemacht. Sie sind klüger geworden und werden an Orten gebraucht, an denen ihr Einsatz auch Sinn macht. Im Smartphone zum Beispiel, wo Apples Siri oder Googles Assistant Auskunft geben, ohne einen dabei anzuglotzen. Oder im Facebook Messenger, wo wir mit Hilfe von Bots Blumen bestellen oder Kinozeiten abfragen können.
Für Microsoft-Chef Satyam Nadella sind die virtuellen Helfer denn auch das Benutzerinterface der Zukunft . Geht es nach ihm, sollen wir statt per App bald schon über Bots mit Computern und Smartphones interagieren. Denn die könnten uns viel Arbeit abnehmen, etwa wenn es darum geht, sich einen Überblick über grosse Datenmengen zu verschaffen.
Der Markt für Bots ist so neu, dass sich Marktanalysten noch nicht einmal über seine potenzielle Grösse einig sind. Microsoft sieht ihn jedenfalls als Chance, in einem zukunftsträchtigen Feld wieder ganz vorne mitzuspielen, nachdem das Unternehmen den Trend zu Apps und Smartphones lange verschlafen hatte.
Und Urvater der modernen Bots ist der tragische Held Clippy – der Bot-Father, sozusagen.