Zwei nasse Schwämme an den Kopf halten, ein bisschen Gleichstrom durch den Schädel schicken und in Minuten ist man ein Genie. Das verspricht die transkranielle Hirnstimulation – auch bekannt unter der Abkürzung « tDCS » (für «transcranial direct-current stimulation»). Als ich zum ersten Mal davon hörte, kam mir das bloss vor wie Hokuspokus, wie eine Pseudowissenschaft. Wie, fragte ich mich, soll eine so unpräzise Technik Effekte haben auf ein so komplexes Gebilde wie das menschliche Gehirn?
Auch die selbst gebauten tDCS-Geräte, die tDCS-Enthusiasten im Internet stolz präsentieren, wirken auf den ersten Blick nicht eben vertrauenswürdig: In den meisten Fällen handelt es sich dabei um kaum mehr als eine Batterie mit Elektroden dran. Und ebenso unglaubwürdig klingen die Glücksversprechen der elektrischen Hirnstimulation: Schnelleres Lernen! Besseres Rechnen! Mehr Koordination! Aufhören mit Rauchen! Schluss mit Depressionen! Die Liste ist lang und ich mochte ihr nicht so recht glauben.
Dann hörte ich im «Radiolab»-Podcast die Geschichte der englischen Technologie-Journalistin Sally Adee. Und ich begann mich zu fragen, ob an der transkraniellen Stimulation vielleicht doch mehr dran ist als zuerst gedacht.
Im Handumdrehen zum Experten
Adee berichtete, wie sie an einem Scharfschützen-Training der US-Armee teilnahm, bei dem die Defense Advanced Research Projects Agency ( DARPA ) mit tDCS experimentierte. Nach einem ersten, recht erfolglosen, Durchgang wagte sich die Journalistin ein zweites Mal in den Schiess-Simulator – diesmal mit Elektroden am Kopf, durch die eine kleine Menge Strom floss. Statt in Panik auf alles zu schiessen, was sich bewegte, regierte Adee nun viel ruhiger und präziser. Sie schaltete Gegner für Gegner aus und war am Ende der Übung überrascht, dass der zweite Durchgang schon nach fünf Minuten zu Ende war, wo der erste doch gut eine halbe Stunde gedauert hatte.
Bloss war auch der zweite Versuch ganze 30 Minuten lang – was Adee aber nicht mitbekam: Dank tDCS war sie in einen Zustand höchster Konzentration und Entspannung geraten und völlig in ihrer Tätigkeit aufgegangen.
Die DARPA hofft, so die Ausbildungszeiten von Soldaten markant zu verkürzen. Forscher gehen davon aus, dass es unter normalen Umständen gut 10'000 Stunden Training braucht, um in einem Gebiet zum Experten zu werden. Transkranielle Stimulation verpricht, eine mögliche Abkürzung zu diesem Ziel zu sein.
Wie ein Zitterrochen auf dem Kopf
Nicht nur das US-Militär setzt auf tDCS: «Ich glaube die Technik wird in zehn bis 15 Jahren zur medizinischen Routine gehören», sagt der Neurologe Andreas Luft , der das Schlaganfall-Zentrum am Universitätsspital Zürich leitet. Allerdings sei man noch in einer sehr frühen Phase der Anwendung, so Luft, in der die genaue Wirkung der Technik erst noch erforscht werde.
Dass Elektrizität eine Wirkung auf Gehirnfunktionen hat, weiss man schon lange. Bereits im ersten Jahrhundert empfahl etwa der römische Arzt Scribonius Largus bei schlimmen Kopfschmerzen das elektrotherapeutische Auflegen eines Zitterrochens . Auch die gezielte Stimulation bestimmter Hirnregionen mit Gleichstrom ist schon seit über 100 Jahren bekannt .
Neue Erkenntnisse der Hirnforschung und neue technische Möglichkeiten wie schnellere und genauere bildgebende Verfahren sorgten in letzten Jahren für eine Renaissance der transkraniellen Stimulation. Neurologen hoffen, dass tDCS in Zukunft etwa Patienten helfen wird, deren Hirnareale nach einem Schlaganfall nicht mehr richtig miteinander kommunizieren.
Keine negativen Effekte?
Die medizinischen Apparaturen, die für solche Versuche zum Einsatz kommen, sind selbstverständlich komplexer als die Do-It-Yourself-Geräte der Bastler im Internet. Doch Letzteren geht es nur selten um eine medizinische Anwendung, bei ihnen stehtdas sogenannte «Neuro Enhancement» im Vordergrund: Der Versuch, mittels tDCS die eigenen Fähigkeiten zu steigern. So sollen etwa die Aufmerksamkeitsspanne erhöht, das Gedächtnis oder die Koordination verbessert werden.
Andreas Luft würde keinen Hirnstimulator der Marke Eigenbau benutzen: «Ich selbst würde mich nicht trauen, mir so etwas anzulegen», sagt der Neurologe. Doch es sind ihm auch keine negativen Effekte solcher Geräte bekannt.
Beu wissenschaftlichen Versuchen mit Ratten hat erst ein Hundertfaches der bei der transkraniellen Stimulation zum Einsatz kommenden zwei Milliampere Strom für Hirnschäden sorgen.
Kosten: 20 Franken, Bauzeit: 10 Minuten
Weder über die Gefährlichkeit noch über die genaue Wirkung von tDCS kann die Forschung zum jetztigen Zeitpunkt also eine klare Aussage machen. Doch mein Wunsch, es selbst auszuprobieren ist stark und der Strom, der an meinen Schädel fliessen wird ist schwach. Ich wage also eine einzige tDCS-Sitzung, die bloss 20 Minuten dauert – auf eigene Gefahr und mit dem Ratschlag, es mir nicht nachzumachen.
Mein Hirnstimulator ist eine simple Konstruktion aus einer Lochrasterplatine, einer 12-Volt-Batterie, einer stromregulierenden Diode, einem Kohlenstoff-Faser-Widerstand, ein paar Drähten und zwei Krokodilklemmen mit in Salzwasser getauchten Küchenschwämmen dran. Insgesamt haben die Teile knapp 20 Franken gekostet und waren in weniger als zehn Minuten zusammengebastelt.
Vor dem ersten Selbstversuch überprüfe ich mit einem Multimeter, ob die Stromstärke auch wirklich nicht zwei Milliampere übersteigt (siehe Video). Noch besser wäre ein direkt ins Gerät eingebauter Amperemeter, der den Strom auch während des Tragens misst.
Denn während einer tDCS-Sitzung kann sich zum Beispiel die Leitfähigkeit der Elektroden (sprich: in Salzwasser getauchten Küchenschwämme) leicht ändern.
Nicht nachmachen: Der Selbstversuch
Je nachdem, welcher Effekt erreicht werden soll, müssen die Elektroden anders platziert werden. Um Lernen zu beschleunigen etwa an der Schläfe und am Oberarm. Gleich nach dem Einlegen der Batterie spüre ich ein leichtes Kribbeln unter den Schwämmen, so als würden mich dort kleine Nadeln stechen. Und im Mund macht sich ein metallischer Geschmack breit, als hätte ich die Zunge auf beide Pole einer 9-Volt-Batterie gelegt.
Der Strom fliesst, der Selbstversuch kann beginnen.
- Schneller reagieren: Gamen
Ein Versprechen der tDSC ist eine schnellere Reaktionszeit. Weil ich das nicht wie Sally Adee im Schiess-Simulator überprüfen kann, greife ich zur nächstbesten Alternative: einem Kampfspiel auf der Playstation.
Tatsächlich fühle ich mich während dem Spielen sehr konzentriert, mehr als beim Versuch ohne Elektroden an Kopf und Körper. Allerdings ist nicht klar, wie sehr die Veränderung einfach dem Umstand geschuldet ist, dass der Test begonnen hat und ich mich nun noch mehr auf das Spiel konzentriere.
- Einfacher lernen: π = 3,14159...
tDSC soll die Konzentration erhöhen und das Lernen vereinfachen. Und das neu Gelernte soll nicht nur kurzfristig im Gedächtnis bleiben, sondern auch nach der transkraniellen Stimulation erhalten bleiben. Das teste ich mit einer einfachen Übung: Wie viele Nachkommestellen der Kreiszahl Pi (π) kann ich innert fünf Minuten auswendig lernen?
Mit tDCS-Unterstützung komme ich auf 18 Zahlen, die ich mir merken kann. Allerdings nicht für lange: Als ich die Zahlen zehn Minuten nach Testende noch einmal aufsagen will, scheitere ich schon nach der fünften. Immerhin eine kleine Steigerung: Ohne Hirnstimulation schaffte ich zuvor nur 15 Zahlen – und auch dieses Ergebnis war alles andere als nachhaltig...
- Besser denken: IQ-Test
Und zum Schluss die schwierigste Aufgabe: Ich absolviere einen IQ-Test. Die Aussagekraft solcher Tests kann gerne kritisiert werden, mir geht es dabei lediglich um den Vergleich zwischen meinem Ergebnis vor und dem nach der transkraniellen Stimulation.
Die IQ-Zahl, die der Test für mich errechnet hat, behalte ich lieber für mich. Aber so viel sei gesagt: Ohne tDCS habe ich besser abgeschnitten als mit. Nachdem mir Strom durch den Schädel geflossen war, hatte ich mehr Mühe, mich auf die Denkaufgaben zu konzentrieren. Das kann daran liegen, dass ich während des Tests abgelenkt war, doch ein Genie hat die transkranielle Stimulation definitiv nicht aus mir gemacht. Leider.
Bloss ein Placebo-Effekt?
Doch ich hatte tatsächlich den Eindruck, die transkranielle Stimulation hätte einen Effekt auf mein Gehirn: Gedächtnis, Reaktion und auch die Erinnerungsfähigkeit schienen mir dank tDCS leicht gesteigert. Besser denken konnte ich der Elektroden am Kopf wegen aber nicht. Wenig Grund also, den Versuch zu wiederholen.
Doch mein Beispiel hat nur anekdotischen Wert, eine wissenschaftliche Aussage lässt sich der eher stümperhaften Versuchsanordnung wegen nicht machen. Und es ist nicht auszuschliessen, dass die positiven Effekte bloss einem Placebo-Effekt zuzuschreiben sind.
Vor diesem Problem stehen auch die Forscher, die sich mit transkranieller Stimulation beschäftigen. Um den Placebo-Effekt auszuschliessen, kommen bei wissenschaftlichen Tests deshalb auch Schein-Geräte zum Einsatz: Eine Kontrollgruppe trägt Stimulatoren, die durch einen kurzen Stromstoss zu Beginn bloss den Anschein erwecken, tatsächlich Strom in den Schädel zu leiten.
Dass tDCS eine Wirkung hat – auch wenn nicht immer klar ist, wie er zustande kommt–, ist sich die Wissenschaft aber einig: Effekte wurden etwa in Bezug auf eine Verbesserung von kognitiven und motorischen Fähigkeiten oder der Aufmerksamkeit. Auch bei neurologischen und psychischen Störungen wird die Technik schon mit Erfolg eingesetzt.