Sascha Lobo hat sich geirrt. Gibt er selber zu. In der «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» erklärt er , das Internet sei kaputt. Es sei nicht mehr «das ideale Medium der Demokratie, der Freiheit und der Emanzipation». Sondern «untergrabe die Grundlagen der freiheitlichen Gesellschaft» und sei «Vehikel der Wirtschaftsspionage».
Knackige These
Einer wie Sascha Lobo lebt von Zuspitzungen. Das ist natürlich sein Recht. Denn damit schafft er Aufmerksamkeit, die wichtigste Währung im Geschäft der Experten und Meinungsmacher. Und auch wenn sich die Wahrheit meistens nicht in einer knackigen These abbilden lässt, stösst er immerhin eine Diskussion an. Unbestritten hat Lobo den Riecher für den richtigen Zeitpunkt.
Das macht die These allerdings nicht wahrer: So wenig wie das Internet den Weltfrieden brachte und alle plötzlich kreativ und frei wurden, so wenig ist es jetzt plötzlich nur noch der verlängerte Arm von Tyrannen und Spionen. Es war halt schon immer ein bisschen beides und noch einiges mehr. Die gesellschaftliche Debatte, wer was wie überwachen darf, hat gerade erst begonnen. Jetzt schon zu behaupten, es sei gelaufen, ist eine knackige These. Nicht mehr.
Dass Lobo für seine aufgelegte Kehrtwende nun in einigen Blogs und Kommentaren verspottet wird, tut ihm wohl nicht weh. Denn seine Kunden sind nicht Blogger oder Kommentierer, sondern Feuilleton-Scheffs, und die bekommen was für ihr Geld: Lobos These, überall.
Delegieren an Experten
Sascha Lobo weiss, dass es das Bedürfnis gibt, komplexe Themen verkürzt erklärt zu bekommen. Er befriedigt dieses Bedürfnis geschickt.
Denn wenn wir mit einem komplexen Problem konfrontiert werden, reagieren wir als Gesellschaft immer gleich: Wir delegieren es an Experten. Das machen wir so im Gesundheitswesen, in der Bildung, bei Umwelt- und Konsumentenschutz. Krankenkassenprämien, Lehrpläne, Bio-Label, aufgedeckte Nahrungsmittelskandale: Es ist halt alles kompliziert und so anstrengend, da selber durchzublicken. Die Spezialisten werden es schon am besten wissen.
Es wäre sehr überraschend, wenn dieses Grundmuster nun bei Fragen des Datenschutzes und der Netzpolitik plötzlich durchbrochen würde. Nein, auch hier werden wir die Experten reden und machen lassen.
Viele dieser Spezialisten werden gute Arbeit machen, sich ernsthaft nach bestem Wissen und Gewissen bemühen. Andere werden eigene Ziele verfolgen, eine Empörungsmaschinerie bewirtschaften, den schnellen Fix versprechen.
Dieses Wegdelegieren ist nicht gratis zu haben. Der Preis ist ein Gefühl des Kontrollverlustes. Weil wir uns nicht mehr mit dem Thema beschäftigen, wird es erst recht diffus, unfassbar. Wir bekommen ein mulmiges Gefühl im Bauch. Und werden so empfänglich für Quacksalber.
Wenn also selbsternannte Internet-Experten behaupten, sie könnnen dieses Internet in einem Satz erklären oder ein komplexes Problem ganz einfach lösen, dann ist gesunde Skepsis wohl die beste Reaktion.