Alles begann mit einer Mail im Herbst 2011. Gabe Newell, der Gründer der erfolgreichen Game-Firma Valve, wollte Varoufakis als Haus-Ökonomen anstellen. Newell kannte Varoufakis' Blog , in dem der Ökonom sich regelmässig kritisch zur Krise in Europa äussert. Der damalige Wirtschaftsprofessor interessierte sich allerdings keinen Deut für Computer-Games und hätte die Mail beinahe gelöscht. Doch die Begründung für das Angebot weckte sein Interesse: Valve entwickelt nicht nur Games. Die Firma aus Washington betreibt mit Steam auch eine beliebte Plattform, über die sie Computer-Spiele vertreibt.
Newell wollte eine virtuelle Währung einführen, die in ganz unterschiedlichen Games als Zahlungsmittel akzeptiert wird und so diese Games miteinander verbinden. Und plötzlich realisierte er: Das ist ja wie Griechenland und Deutschland – zwei unterschiedliche Wirtschaftsräume, die durch eine Währung verbunden werden! Ab da war für ihn klar: Damit das funktioniert, musste er einen wie Varoufakis als Berater haben.
Der besuchte Newell in dessen Firma und war begeistert: «Es hat nur einen Tag gedauert, bis ich gemerkt habe, dass hier etwas Verrücktes und Wunderbares geschieht und ich wollte dabei sein» erzählte er dem Journalisten Doug Henwood in einem Interview .
It only took a day to realize that something weird and wonderful is happening there and I wanted to be involved.
Der Traum eines Ökonomen
Varoufakis hatte zwar keine Ahnung von Computerspielen, doch er begriff sehr schnell, welches Potenzial die Games für einen Ökonomen bereitstellen. «Ich traf auf eine verblüffend echte Wirtschaft, auch wenn sie sich in Computern abspielt» erzählte er Henwood. Im Game «Team Fortress» zum Beispiel, einem der erfolgreichsten Games von Valve: Der Zutritt zum Spiel ist kostenlos, Geld verdienen die Entwickler mit Gegenständen, die sie im Game verkaufen; Hüte etwa oder Waffen, Schlüssel und noch viel mehr. Die Gamer können mit diesen Gegenständen handeln, sie können sie tauschen oder verkaufen und sogar selber neue Gegenstände entwerfen.
Trau keiner Statistik
Wie in der realen gebe es auch in der virtuellen Wirtschaft Tausch, Produktion, Einkommen und Vertrieb, sagt Varoufakis im Interview. Bei «Steam» seien 90 Millionen Menschen aktiv, es gehe um eine Milliarde Dollar Unmsatz pro Jahr. Der Unterschied zur echten Wirtschaft: Jede Entscheidung, jeder Tausch oder Kauf wird protokolliert und ist nachvollziehbar. «Man fühlt sich wie Gott, allwissend! Statistiken braucht man nicht mehr», meint der Wissenschafter begeistert.
Real rubbish in - dangerous rubbish out.
Das muss wie eine Erlösung auf den Ökonomen gewirkt haben, denn er misstraut den Statistiken schon lange. «Sie sind wie Würste, man will nicht so genau wissen, wie sie eigentlich gemacht werden». Mit diesen zweifelhaften Daten fütterten die Ökonomen dann auch noch ihre Formeln, so Varoufakis und bringt das Vorgehen seiner Zunft auf den Punkt: «Echter Müll rein – gefährlicher Müll raus.»
Die digitale Praxis widerlegt die Theorie
Varoufakis hat die präzisen Daten aus dem Game «Team Fortress» dazu benutzt, um den Tauschhandel zu studieren. Er wollte wissen, wann sich zwischen den einzelnen Gegenständen ein Gleichgewicht der Tauschwerte einpendelt. Das Resultat hat ihn überrascht: Es gibt kein permanentes Gleichgewicht, die Preise sind ständig in Bewegung.
Das steht im klaren Gegensatz zu den Lehrbüchern, die davon ausgehen, dass Angebot, Nachfrage und Preis sich schnell austarieren. «Eigentlich hätten wir Ökonomen das wissen müssen», meint er. Varoufakis misstraut nun nicht nur den Statistiken, auch den klassischen Wirtschafts-Modellen steht er skeptisch gegenüber.
Der Tauschhandel, den Varoufakis untersucht hat, ist zu weit weg von der Realität, als dass daraus bessere Modelle für die reale Wirtschaft abgleitet werden könnten, da etwa Arbeits- und Finanzmarkt fehlten. Doch es gebe bereits Games, deren Wirtschaft sehr nahe an die Realität kommen, so der Ökonom, zum Beispiel EVE Online .
Experimente im Dienste der Teilnehmer
Die digitale Wirtschaft bietet den Ökonomen ein wunderbares Labor: Die virtuelle Welt der Games lässt sich nicht nur beobachten; Wissenschafter können auch aktiv eingreifen, indem sie zum Beispiel eine Steuer einführen und dann zuschauen, wie das den Handel verändert. Die Forscher können für verschiedene Gruppen jeweils unterschiedliche Parameter festlegen und dann in Echtzeit beobachten, wie sich diese Veränderungen auswirken.
In einem Interview mit der Zeitschrift «Reason» bezweifelt Varoufakis jedoch, dass die Game-Entwickler den Wissenschaftlern beim Experimentieren in jedem Fall freie Hand lassen, denn die Interessen der Firmen und Forscher sind nicht immer deckungsgleich. Die Game-Entwickler haben ihre eigenen Prioritäten, sie möchten etwa die Bildung von Spekulations-Blasen verhindern. Wie im richtigen Leben plötzlich Tulpen oder Immobilien zu Spekulations-Objekten werden, so besteht diese Gefahr auch in der virtuellen Welt. Die Gamer könnten dadurch viel Geld und den Spass am Spiel verlieren. Damit es nicht so weit kommt, suchen die Entwickler mithilfe von Ökonomen nach Möglichkeiten, um dies zu verhindern.
Gamer oder Gambler?
Varoufakis selbst ist kein Gamer. Der Wissenschaftler macht keinen Hehl daraus, dass er sich nie für Computerspiele interessiert hat. Nicht einmal «Team Fortress» hat er gespielt, obwohl er das Game über längere Zeit erforscht hat. Für die Einsicht, dass die klassische Theorie von Angebot und Nachfrage mit der Realität nicht übereinstimmt, ist er aber heute noch dankbar.
Kein Gamer, aber vielleicht ein Gambler? Mit Spieltheorie kennt er sich bestens aus – mit dem Spezialgebiet der Mathematik, das sich auch mit Verhandlungsstrategien beschäftigt. Er hat eine Einführung in die Spieltheorie verfasst, die bereits in der zweiten Auflage erschienen ist. Diesen Modellen und Theorien scheint der Skeptiker Varoufakis mehr zu vertauen als der klassischen Ökonomie. Er verfügt also über fundiertes Wissen, das ihm bei den anstehenden Verhandlungen nützlich sein könnte.