«Bis nach Mitternacht hielten in Amerika, Grossbritannien und anderswo Einzelhändler oder Grossdealer wie Comp-USA mit 86 Filialen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ihre Läden offen. Vielen wie dem Studenten Jonathan Prentice, 19, ging es vor allem darum, in einer weltweiten (...)-Olympiade irgendwie zu den ersten zu gehören: Vor fünf TV-Kameras kaufte er sein (...) in Auckland, Neuseeland, Punkt Mitternacht Ortszeit und so dicht an der Datumslinie, dass die gesamte Erdenbevölkerung westwärts das Nachsehen hatte. Der Welt teilte Erstkäufer Prentice dann mit, was er von (...) für sich erwartet: 'Da kann ich gleichzeitig Solitär spielen und Faxe senden.'»
Nein, bei den Platzhaltern (...) im Text, erschienen 1995 im Spiegel , geht es nicht um das neue iPhone, sondern um Windows 95.
Windows: Ab jetzt immer die neuste Version
Der Hype um Windows 95 fand vor 20 Jahren statt – heute ist er undenkbar. Jetzt ist Windows 10 erhältlich – und niemand ist aufgeregt. Eigentlich dürften wir es sein, denn Windows 10 ist die letzte Möglichkeit, dass wir uns nochmals so richtig über ein neues Betriebssystem freuen – oder ärgern – können.
In Zukunft wird Microsoft nämlich neue Funktionen nicht mehr gebündelt in einer neuen grossen theatralisch als «nächster Meilenstein» angekündigten Windows-Version veröffentlichen, sondern sobald sie fertig sind, als Update übers Internet.
So handhaben es seit längerem viele Online-Dienste wie Youtube oder Google, wo sich niemand mehr für irgendwelche Versionsnummern interessiert. Das macht Sinn, denn so ist ein Betriebssystem immer im bestmöglichen Zustand – und veraltet nicht nach ein paar Jahren, wie es bis jetzt bei Windows der Fall war.
Apps: Einmal bezahlt, überall genutzt
Die Möglichkeit, Windows permanent auf dem bestmöglichen Stand zu halten ist für Microsoft umso wichtiger, weil Windows nun endlich das Betriebssystem für alle Geräte werden soll – so die Strategie von Microsoft. Das geht nur, wenn das Betriebssystem immer und überall stabil und zuverlässig funktioniert.
Windows soll dadurch zu unserem alltäglichen Begleiter werden, immer und überall, und um damit alles machen zu können müssen wir Apps im Windows Store von Microsoft kaufen. Im Gegensatz zur Konkurrenz sollen diese Apps – einmal gekauft – auf allen Plattformen laufen, auf dem klassischen Computer-Desktop, dem Tablet, dem Smartphone und der Spielekonsole Xbox.
Dank der Synchronisation über Microsofts Cloud-Dienst soll sich jede App überall im selben «Zustand» befinden: Wenn ich einen Text auf dem PC in Word angefangen habe zu schreiben wird die Word-App auf dem Smartphone den Text an der selben Stelle anzeigen – Apps zerfliessen in eine einzige mobile Anwendung in der Wolke, deshalb heisst das Motto von Microsoft auch «Cloud first, mobile first».
Freuen über eine neue Windows-Version: Letzte Chance!
Die Idee des «nahtlosen Arbeitens» auf allen möglichen Geräten ist nicht neu und wird von anderen, zum Beispiel Google mit Google Docs, schon länger angeboten – so konsequent umgesetzt in einem Betriebssystem dürfte es derzeit aber nur bei Windows 10 der Fall sein.
Für Microsoft ist dies die letzte Chance, Windows endlich auch auf Smartphones und Tablets zum Abheben zu bringen, für uns ist es die letzte Chance, uns nochmals über die Einführung einer neuen Windows-Version zu freuen – genau hier an dieser Stelle.
Denn der Rest von Windows 10 ist wenig aufregend:
Ein neuer Browser ohne Ecken und Kanten : Edge . Damit ist der einst so erfolgreiche Internet Explorer Geschichte. Es wurde auch Zeit, weil er heute sowieso keine nennenswerten Marktanteile mehr hat. Edge setzt auf aktuelle Web-Standards und verzichtet auf Altlasten des Vorgängers. Technisch ist der Browser damit Firefox, Google Chrome oder Safari ebenbürtig. Ein überfälliger Schritt.
Welcome Back, Startmenü . In Windows 8.1 war es verschwunden, Windows 10 hat wieder eines. Zwar nicht so, wie es Anwender von Windows 7 und Versionen davor kennen, denn es sind jede Menge Kacheln drin. Wer das neue Startmenü aufklappt, sieht links die klassische Auflistung und rechts Kacheln, die das Gefühl vermitteln, man klappe die Anzeige eines Windows Phones auf. Das ist auch die Absicht: Apps sollen auch auf dem Desktop so aussehen und sich starten lassen, wie auf einem Smartphone und so den Unterschied der verschiedenen Geräte verwischen.
Sag's, fast wie dir der Schnabel gewachsen ist: Cortana . Auf Windows Phones gibt's die persönliche Assistentin bereits, nun horcht Cortana auch auf Desktops auf Sätze wie «Hey Cortana, starte Word!» oder «wann fährt der nächste Zug nach Lausanne?»
Windows 10: Kostenlose Beigabe zu Windows 7 und 8.1
Microsoft will Windows 10 forcieren, uns dazu bringen, möglichst schnell auf Windows 10 umzusteigen und «verschenkt» das Betriebssystem. Jeder, der bereits eine Version von Windows 7 oder 8.1 besitzt, kann sich für ein kostenloses Upgrade anmelden . Das Upgrade ist eine Vollversion von Windows 10, keine Test- oder Einführungsversion. Aber das Upgrade ist nur für begrenzte Zeit verfügbar: Jeder Benutzer hat ein Jahr ab der Einführung von Windows 10, vom diesem Angebot Gebrauch zu machen. Also bis zum 29. Juli 2016.
Wie kann Microsoft in Zukunft Geld verdienen?
Mit dem Gratis-Angebot will Microsoft möglichst viele Leute für das Betriebssystem begeistern, die in einem nächsten Schritt dann auch bereit sind, für andere Angebote etwas zu bezahlen.
Darum sind die einzelnen Dienste im Ökosystem von Microsoft immer enger miteinander verknüpft. Wer etwa mit dem Sprachassistenten Cortana von Windows 10 etwas sucht, wird für Antworten an die Microsoft-eigene Suchmaschine Bing verwiesen. Und auch Microsofts Cloud-Speicherdienst Onedrive ist zum Beispiel eng mit Windows 10 verknüpft.
Dass Microsoft sein Betriebssystem an Private künftig gratis abgibt wiegt auch deshalb nicht so schwer, weil das Unternehmen damit sowieso nicht mehr das grosse Geld verdient. Der Verkauf von Windows-Lizenzen an Geschäftskunden ist weit lukrativer oder an PC-Hersteller, die das Betriebssystem auf ihren Geräten vorinstallieren. Und in diesen beiden Fällen wird Windows auch weiterhin kosten.