Diese Woche haben sich in Aarau Informatik-Lehrerinnen und -Lehrer zu einer Weiterbildung getroffen. Wir haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt, denn: Wo, wenn nicht, hier bekommt man eine Antwort auf die Fragen, warum in der Informatik so wenig Frauen arbeiten. Und was man dagegen tun kann?
Gibt es ein Problem?
Der Primarlehrer Pascal Lütscher spielt im Informatikunterricht manchmal eine Schildkröte. Seine elfjährigen Schülerinnen und Schüler geben dann ihm als Tier Anweisungen, wohin dieses sich bewegen soll, damit es einen bestimmten Weg zurücklegt. Zehn Anweisungen oder Befehle versteht die Schildkröte. Ohne es zu merken, machen die Kinder die ersten Erfahrungen mit der Programmierung – anstelle eines Computers programmieren sie einfach eine Schildkröte. «Bei den 11-Jährigen Buben und Mädchen besteht im Informatik-Unterricht absolut kein Unterschied. Sie sind alle gleichermassen interessiert und fasziniert.» sagt Lütscher.
Die gleichen Erfahrungen hat auch der erfahrene Mathematik- und Informatiklehrer Hansruedi Schneider aus St. Gallen gemacht. «Es gibt einfach Gute und Schlechte, sowohl bei den jungen Frauen als auch bei den Männern», sagt er.
Warum arbeiten dann trotzdem viel mehr Männer in der Informatik?
Der Einfluss der Gesellschaft
«Alle Studentinnen, mit denen ich gesprochen habe, mussten gegen gesellschaftliche Vorurteile kämpfen, bevor sie Informatik studieren konnten», sagt Juraj Hromkovic, Didaktik-Spezialist und Professor für Informatik an der ETH Zürich.
Mathematisches Denken, wie es auch in der Informatik eine wichtige Rolle spielt, werde oft mit einer genetisch bedingten Begabung in Verbindung gebracht, meint die Mathematik-Lehrerin Kathrin Seiler. Sie kritisiert: «Es gehört heute zum guten Ton, wenn man sagt, ich bin schlecht in Mathematik.» Ein Mädchen, das sich von der Mathematik verabschiede, stosse auf breites Verständnis.
Die Mathematik werde als etwas wahrgenommen, das den Begabten vorbehalten bleibe, so Seiler, und Frauen gehörten eher nicht dazu. Unter dieser Haltung haben sogar die begabtesten Frauen zu leiden. Erst nachdem sie von ihrem Mathematik-Lehrer ermutigt wurde, traute sich Lucia Keller ein Mathematik- und Informatik-Studium an der ETH zu.
Was Informatik alles nicht ist
Mehr zum Informatikunterricht
Auch von der Informatik machen sich viele ein falsches Bild, sowohl Männer als auch Frauen; darin sind sich die Fachleute einig. Bei beiden Geschlechtern wird dieses Bild durch den PC geprägt: Für die jungen Männer ist er ein faszinierendes Gerät, das mit Spass assoziiert wird, für die Mädchen eher eine langweilige Maschine zur Erledigung von Routine-Arbeiten. Kein Wunder, zieht es die Frauen nicht in die Informatik. Dabei habe Informatik hat etwa so viel mit Computern zu tun wie ein Teleskop mit Astronomie, meint Jens Gallensbacher von der TU Darmstadt. Für ihn geht es vielmehr um menschliche Kreativität und Kommunikation.
Ein falsches Bild was Informatik ist, Ausreden und gesellschaftliche Vorurteile – Probleme gibt es also zu Hauf, doch was lässt sich dagegen tun?
Mit frühem Unterricht Abhilfe schaffen
Viele Fachleute sind sich einig, dass man schon in der Primarschule mit dem Informatikunterricht beginnen muss. Hier kann man die Kinder begeistern und ihnen ein realistisches Bild der Informatik vermitteln. Gallensbacher fordert deshalb einen obligatorischen Unterricht für die Primarschule.
Kathrin Seiler wünscht sich mehr Raum für Informatik und die Naturwissenschaften in der Primarschule. Im Alltag versucht sie immer wieder, ihre Schülerinnen dazu zu bringen, die fatalistische Haltung gegenüber der Mathematik abzulegen und sie zur Einsicht zu bewegn, dass sie können wenn sie wollen.
Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen
Für Informatik-Professor Hromkovic ist ein Unterricht wichtig, der die Vorgehensweise der Mädchen berücksichtigt, denn hier stellen die Fachleute durchaus Unterschiede fest. Stellt man eine Aufgabe, so experimentieren die Buben einfach drauflos, bis sie eine Lösung gefunden haben. »Die Mädchen mögen diese Art zu Arbeiten gar nicht», sagt er. Sie würden sich vorzugsweise in kleinen Schritten vortasten und bräuchten die Möglichkeit, die Resultate immer wieder zu überprüfen. «Wenn man ihnen so einen Unterricht anbietet, dann werden die Mädchen es schaffen», ist der Didaktik-Spezialist überzeugt.
Hromkovic hat die Lehrmittel entwickelt, die Pascal Lütscher im Informatik-Unterricht mit seinen 11-Jährigen mit grossem Erfolg einsetzt. Ob seine Schülerinnen auch in Zukunft so viel Freude an der Informatik haben wie heute, wird zurzeit in einer Langzeitstudie erforscht.