Bitcoin auf Radio SRF
Bevor wir das alte Fabrikgebäude betreten, warnt mich Guido Rudolphi: In seiner digitalen Mine sei es laut, heiss und nicht sehr gemütlich – wie in einer richtigen Mine eben auch. Neben dem schlanken Mittfünfziger wartet geduldig sein Hund. «Die Engländer nahmen zur Sicherheit einen Kanarienvogel mit in die Mine, ich habe immer meinen Minen-Hund dabei», scherzt er.
Tatsächlich hört man schon von weitem ein penetrantes Surren, das immer lauter wird. Schnell wird klar, von wo der Lärm kommt: In einer ehemaligen Produktionshalle stehen dutzende Ventilatoren. Sie kühlen unzählige Rechengeräte in allen Grössen und Ausführungen. Alle Fenster sind weit geöffnet, nicht nur jetzt, auch im Winter. Am Boden liegen überall dicke Stromleitungen, dazwischen leere Kartonschachteln und Computerbauteile, bereit für den Einbau. Um eine Bitcoin-Mine zu betreiben, braucht es also spezielle Rechner und sehr viel Strom.
Buchhaltung und Lotterie
Bitcoin-Minen sind die Buchhalter der digitalen Währung. Sie prüfen und speichern alle Transaktionen. Für die Minenbetreiber ist Bitcoin aber auch so etwas wie eine gigantische Lotterie: Alle zehn Minuten haben sie die Chance, eine Prämie von 25 Bitcoin zu gewinnen, aktuell 10'000 Franken. Das ist die Belohnung für die Mine, der es als erste gelingt, die neuste, korrekt nachgeführte Seite (Block) in die Buchhaltung (Blockchain) einzufügen. Tausende von Minen rund um die Welt versuchen immer wieder erneut, dieses Preisgeld zu erhaschen.
Um zu gewinnen, braucht es eine Portion Glück. Doch entscheidend ist die Rechenleistung. «Es ist eine mathematische Lotterie, bei der ich ausrechnen kann, wie oft ich gewinne» sagt Guido Rudolphi. Je grösser die Rechenleistung, desto grösser die Chancen.
Früher konnte sich jeder mit einem PC am Bitcoin-Netzwerk beteiligen. Heute kann nur mithalten, wer mit spezialisierten Chips rechnet und sie mit billigem Strom betreibt. Mit einem PC müsste man mehrere hunderttausend Jahre rechnen, um einmal zu gewinnen.
Der Konkurrenzkampf unter den Bitcoin-Minen gnadenlos. Alle sechs Monate kommt einen neue Chip-Generation auf den Markt, die noch schneller rechnet und noch weniger Strom verbraucht. So bleiben einem Minenbetreiber nur wenige Monate, um die Investition in seine Hardware zu amortisieren. Denn dann stellt die Konkurrenz bereits wieder auf die nächste Hardwaregeneration um und rechnet noch schneller und noch günstiger.
Der Strompreis macht den Unterschied
Während die Kosten für die Hardware für alle Teilnehmer die gleichen sind, gibt es beim Strompreis grosse Unterschiede.
Vor 18 Monaten hat Guido Rudolphi seine Mine von Uster im Kanton Zürich nach Linthal im Kanton Glarus verlegt. Der einzige Grund: der Strompreis. «Es hat rund zwei Jahre gedauert, bis ich in der Schweiz einen Ort fand, an dem man billig Strom beziehen kann», so der Unternehmer.
Ohne günstigen Strom kann man eine Bitcoin-Mine nicht rentabel betreiben. Das ist mit ein Grund, warum sich die Bitcoin-Rechenleistung in China konzentriert. Der Strom ist dort ohnehin günstig. Und mit Korruption verschaffen sich Bitcoin-Minen im Reich der Mitte weitere Vorteile: Sie bestechen Kraftwerkbetreiber oder geben sich etwa als Bäckerei aus, weil Lebensmittelfabrikanten von Sonderkonditionen profitieren. «Oben backen sie zehn Croissants am Tag, während ihre Mine unten Strom für eine Million Gipfeli verbraucht», erzählt Guido Rudolphi.
Überzeugung als Motivation
Wie viel er in Linthal für den Strom bezahlt, will Guido Rudolphi nicht verraten. Überhaupt lässt er sich nicht gerne in die Karten schauen: Er will auch nicht sagen, über welche Rechenleistung seine Mine verfügt oder wie oft es ihm gelingt, die Prämie von 25 Bitcoin zu erhaschen.
Für ihn, der sich in den 80er Jahren für ein autonomes Zürcher Jugendzentrum einsetzte, ist Geld nicht die einzige Motivation. Er ist überzeugt, dass es den Bitcoin aus politischen Gründen braucht: Eine Währung, die weder von Banken noch Regierungen kontrolliert wird und die schnelle und günstige Transaktionen ermöglicht.
Auch die Technik hinter dem Bitcoin begeistert Guido Rudolphi. Er sieht Parallelen zum Internet. Vor 20 Jahren, als das Netz zum Massenphänomen wurde, gab es ebenfalls Skeptiker, die statt der Möglichkeiten nur Probleme sahen. Heute sei eine moderne Gesellschaft ohne Internet undenkbar, meint er. Und: «In 15 Jahren wird es Kinder geben, die uns fragen: Papa, wie konntet ihr nur ohne Blockchain leben!»