Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Digital E-Books: Braucht es die Bibliothek noch?

Mit der Ausleihe von E-Books setzen immer mehr Bibliotheken auf neue Technologie. Sie kämpfen damit gegen den Besucherschwund, der sich seit Jahren abzeichnet. In dem neuen Buchformat sieht die traditionsreiche Institution eher Chance als Bedrohung. Zudem will sie mehr Raum für Kontakte bieten.

Für viele Familien ist der Besuch in der Bibliothek ein Ritual. In regelmässigen Abständen pilgern sie in die Gemeinde- oder Stadtbibliothek, bringen die alten Bücher zurück, bezahlen Mahnungen, stöbern in Katalogen und Regalen. Dann kehren sie mit grosser Vorfreude auf den neuen Lesestoff nach Hause zurück – mit dem Vorsatz, das nächste Mal die Bücher rechtzeitig zurückzubringen.

Eine Abschlussarbeit der Fachhochschule Chur aus dem Jahre 2014 zeigt: Kinder zählen nach wie vor zur Stammkundschaft von Bibliotheken. Generell ist die Nutzung seit zehn Jahren aber rückläufig. Die Digitalisierung setzt den traditionellen Bücherverleih unter Druck.

E-Books: Vorteile für alle

Viele Bibliotheken setzen aber trotzdem auf die neuste Technologie. Sie bieten vermehrt E-Books zur Ausleihe an. Dabei wird der Ablauf, wie wir ihn bei der Ausleihe physischer Bücher kennen, praktisch unverändert auf Software übertragen: Vom Stöbern im Online-Katalog über das Schmökern im Probekapitel bis zur Ausleihe – alles wie gehabt.

Eine Tabelle zeigt die Verfügbarkeit DRM-geschützter E-Books.
Legende: Digital kann schwierig sein: Die E-Books der Bibliotheken sind in der Regel DRM-geschützt und deshalb nicht auf allen Geräten und Systemen verfügbar. Bibnetz Schweiz

Bloss die Rückgabe und die lästige Mahnung entfallen: Hat man die Leihfrist überzogen, so lässt sich das Buch auf dem Lesegerät einfach nicht mehr öffnen. Der Bussgang entfällt.

E-Books haben für Leser, aber auch Bibliotheken, noch weitere Vorteile: Man kann sie rund um die Uhr bequem von zu Hause aus ausleihen – und das ohne zusätzlichen Aufwand für die Bibliotheken. Im Gegenteil: Elektronische Bücher werden nicht abgenützt oder schmutzig, man muss sie nicht ins Regal zurückstellen und auch für die Bibliothek entfällt der Aufwand, den Mahnungen verursachen. Zu alledem sind sie auch noch günstiger.

Komplizierter als notwendig

Die neue Form der Ausleihe hat aber auch Nachteile: Die Handhabung scheint für Leute, die sich nicht für Tablets und Apps interessieren, komplex. Neben einem Tablet oder Smartphone braucht man zwei Apps – eine für das Suchen im Katalog und eine zum Lesen. Auch ein Konto bei der Bibliothek reicht nicht, es braucht ein zweites bei Adobe – der Firma, die die Lese-App liefert. Es erstaunt deshalb, dass die typischen E-Book-Kunden nicht Jugendliche sind, sondern Menschen ab 45, wie Ziga Kump, Leiter der Stadtbibliothek Burgdorf, beobachtet hat. Doch schafft sich die Bibliothek über die automatisierte Ausleihe nicht gleich selber ab?

Ständiger Wandel

Diese Fragen beantwortet Heinz Morf, Leiter der Bibliothek Zug, mit einem Lachen: «Was Bibliotheken anbieten, das hat sich permanent verändert, angefangen von den Keilschrift-Tafeln in Mesopotamien bis zu unseren E-Books. Und das Angebot wird sich weiterhin verändern.» Um diese These zu bestätigen, reicht ein Blick zurück in die 90er Jahre. Damals haben die Stadt- und Gemeinde-Bibliotheken mit dem Verleih von Musik-CDs angefangen, später kamen dann noch Filme auf DVDs dazu. Beim Publikum waren diese neuen Medien äusserst beliebt, der Verleih boomte.

Die Nachfrage nach Musik aus der Bibliothek ist aber in den letzten Jahren regelrecht eingebrochen. Musik kann heute jeder günstig aus dem Internet beziehen. Der DVD sagt Morf ein ähnliches Schicksal voraus. Dafür entstehen wieder neue Bedürfnisse wie eben die Ausleihe von elektronischen Büchern.

Neue Aufgaben für eine alte Institution

Der technologische Fortschritt bringt die Bibliothekare nicht so schnell aus der Ruhe. Selbstbewusst schauen sie auf den Wandel zurück, den ihre Institution in den letzten 4500 Jahren durchgemacht hat. Sie sind überzeugt, dass die Anpassung auch diesmal gelingen wird, wenn sie auf die neuen Bedürfnisse reagieren.

Ob Uni- oder Gemeindebibliothek, ein Bedürfnis scheinen alle Bibliotheken abzudecken: das nach sozialen Kontakten. Ziga Kump von der Stadtbibliothek Burgdorf meint: «Die Bibliothek wird zu einem Raum, in den man hineinlaufen kann, ohne sich zu etwas zu verpflichten; zum Arbeiten, Zeitung lesen oder Kaffeetrinken.» Und auch Heinz Morf beobachtet diesen Trend in Zug: «Sie wird zum Arbeitszimmer, zum Wohnzimmer und für manche auch noch zum Schlafzimmer.» Die Bibliotheken reagieren auf die neuen Bedürfnisse. Sie bieten jetzt nicht nur Bücher an, sondern auch Kaffee – bis hin zum kulinarischen Ereignis kombiniert mit einer Lesung, wie etwa die Stadtbibliothek Aarau.

Konkurrenz aus dem Netz

Gleichwohl sollte man den Einfluss der E-Books nicht überschätzen. Nach einem starken Wachstum in den letzten Jahren, sind bloss 6 Prozent aller Bücher, die in der Schweiz im letzten Jahr verkauft wurden, E-Books. Nicht dieses neue Medium macht dem klassischen Sachbuch Konkurrenz, sondern Informationsquellen aus dem Internet.

Das merken auch die Bibliotheken: Wikipedia löst den Brockhaus ab, Google den Bibliotheks-Katalog – ein Prozess mit Tradition: Tinte und Pergament ersetzten Ton und Keilschrift, der Buchdruck die Handschrift. Doch überlebt hat immer: die Bibliothek.

Meistgelesene Artikel